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Die heilige Dreifaltigkeit des Geschlechts
Kritik am Text „Geschlecht – Eine marxistisch-leninistische Betrachtung“
Inhaltsverzeichnis
I. Ökonomische und philosophische Bodenlosigkeit
II. Marxismus aus einer anderen Dimension
2. Das unverinnerlichte Äußerliche als Innerliches
3. Die Dimension des Einen als Ebene des Anderen
III. Wieso, weshalb, warum? Wer das fragt, ist dumm!
Vorwort
Der Kommunistische Aufbau hat seit seinem Bestehen eine im Allgemeinen förderliche Wirkung auf die revolutionäre Bewegung in Deutschland gehabt. Sie haben Gedanken aus dem Marxismus-Leninismus verbreitet, das Klassenbewusstsein gefördert, und insbesondere ist hervorzuheben, dass sie die sozialistische Revolution als revolutionären Krieg begreifen und eine Partei aufbauen wollen, die dem angemessen ist. Allerdings haben sie auch ihre Begrenzungen, da sie Hoxhas Revision des Marxismus gutheißen und den Maoismus ablehnen. In ihren Texten zur Kritik des Marxismus-Leninismus-Maoismus sind sie immer wieder auf trotzkistische und chruschtowianische Standpunkte zurückgefallen. Schlimmer noch wiegt ihre opportunistische Haltung gegenüber der radikalen Linken. Da sie sich mit der kleinbürgerlichen Linken versöhnen wollen, versuchen sie den subjektivistischen Idealismus mit dem Marxismus zu verschmelzen. Das Ergebnis davon ist der Text „Geschlecht – eine marxistisch-leninistische Betrachtung“. Darin benutzen sie eine Verballhornung des dialektischen und historischen Materialismus, um den subjektiven Idealismus und Queerfeminismus affirmieren zu können. Sie stellen das idealistische Dogma auf, dass die Gesellschaft die hauptsächliche Seite im Widerspruch zur Natur wäre, und geben das als Definition des historischen Materialismus. Dann lassen sie sich vom Christentum inspirieren, und behaupten die Dreifaltigkeit des Geschlechts, una substantia, tres personae. Das Geschlecht sei nicht einfach nur körperlich, sondern gesellschaftlich und persönlich. Da sie die Existenz des Körpers anerkennen, kommen sie sich selbst sehr materialistisch vor, aber dank ihres idealistischen Dogmas, von dem sie glauben, es sei historisch materialistisch, können sie dann dazu kommen, dass der Körper eigentlich egal wäre. Und so landen sie dann bei ihrem Ziel: Der Anerkennung des subjektiven Idealismus. Kurz: Subjektivismus, weil HistoMat.
Da wir die Genossen zu schätzen wissen, und uns auch ihres Einflusses auf die rote Jugend im weiteren Sinne bewusst sind, wollen wir diesen Text hier kritisieren. Unsere Wertschätzung für die Genossen im Allgemeinen ist der Grund, dass wir uns mit ihrer Position befassen. Unsere Geringschätzung für diese Position ist der Grund für die Form unserer Kritik. Wir halten Geringschätzung für diese Position für angemessen, und denken auch, dass man diese Haltung fördern sollte, denn viele Revolutionäre haben geradezu Angst davor kritisch über den Queerfeminismus nachzudenken. Diese Angst ist dem Denken und dem Nachvollzug der Argumente und Gegenargumente nicht förderlich. Außerdem taugt diese Form dazu, klarzustellen, dass wir nicht im Geringsten vorhaben uns mit dieser Position zu versöhnen.
Wir zitieren den Text zwar ausgiebig, aber wir empfehlen Genossen, die die Zeit haben, den Text selbst in Gänze zu lesen. Wir gehen lediglich auf die Ausführungen zur Definition des Geschlechts und die philosophischen Vorbemerkungen ein, weil darin die gröbsten Fehler gemacht werden.
I. Ökonomische und philosophische Bodenlosigkeit
Die Autoren versuchen den dialektischen und historischen Materialismus mit dem subjektiven Idealismus zu versöhnen.
Zunächst wollen die Autoren ihrer Leserschaft erklären, was denn der dialektische Materialismus sei und schreiben:
Als Marxist:innen stützen wir uns dabei auf die Philosophie des dialektischen Materialismus. Dieser erfasst die Welt auf der Grundlage der Analyse der objektiven Realität und stellt keine vorher konstruierten Prinzipien auf, die dann versucht werden, zu untermauern. Hierbei wird sich auf die Erkenntnisse der Wissenschaft gestützt, diese verallgemeinert und so die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der Welt herausgearbeitet.1
Der dialektische Materialismus erfasse [=analysiere] die Welt [=objektive Realität] auf der Grundlage der Analyse [=Erfassung] der objektiven Realität [=Welt]. Dieser Gedanke dreht sich so oft im Kreis, dass einem schwindelig wird beim Lesen. Jedenfalls werden vor diesem schwindelerregendem Zirkel keine Prinzipien aufgestellt! Es werde sich vielmehr auf die Wissenschaft gestützt, und diese verallgemeinert, um die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der Welt heraus zu finden. Der letzte Satz stimmt wenigstens fast.
So wie es da steht, ist es falsch. Wie ist es wirklich? Der Ausgangspunkt ist die Praxis, diese wird theoretisiert. Das ist zunächst die theoretische Erkenntnis von etwas Besonderem. Diese Theorie wird verallgemeinert, und vom Allgemeinen wird zurück zum Besonderem gegangen und sein Verständnis vertieft. Das Verhältnis von besonderer Wissenschaft und dialektischem Materialismus ist kein Zirkel, sondern eine Spirale. Es ist keine immergleiche Wiederholung. Es ist also ein historischer Vorgang. Die bürgerlichen Einzelwissenschaften werden von den bürgerlichen Philosophen theoretisiert, und Marx kritisiert diese idealistische Theoretisierung, verallgemeinert selbst Ergebnisse der bürgerlichen Wissenschaft und entwickelt gemeinsam mit Engels den dialektischen und historischen Materialismus. Dieser wurde von Lenin und Mao Tse Tung weiter entwickelt und ist heute sehr wohl Ausgangspunkt unserer Erkenntnis der Welt. Wir, also Marxisten im Jahre 2025, müssen nicht hinter diese Erkenntnisse zurückfallen, sondern können darauf aufbauen. Wir haben Vorwissen, das uns in der Praxis bei der Erkenntnis hilft, und dabei überprüft und weiter entwickelt wird
Der dialektische Materialismus stellt keine Prinzipien der Erkenntnis a priori, also unabhängig von der Praxis, rein aus dem Denken auf. Der dialektische Materialismus ist die Verallgemeinerung der richtigen Erkenntnisse die auf der Produktion, dem wissenschaftlichen Experiment und dem Klassenkampf beruhen. Das einzig universelle Gesetz des dialektischen Materialismus ist die Allgemeinheit des Widerspruchs. Alle anderen Gesetze sind besondere Formen dessen. Aber selbstverständlich ist der dialektische Materialismus eine Erkenntnistheorie, jedoch gewinnt er seine Prinzipien a posteriori aus der Praxis. Bei der bürgerlichen Wissenschaft kann man nicht unkritisch alles als Erkenntnis hinnehmen, sondern muss auch die herrschende Meinung in der bürgerlichen Wissenschaft hinterfragen. Das tun immer mehr Marxisten nicht.
Das nächste Zitat widmet sich dem Materiebegriff, der dem Text zu Grunde liegt. Das Zitat an sich klingt weitaus sinnvoller als das vorherige, aber der Fehler, der sich darin verbirgt ist umso gefährlicher, denn es dient dazu die nachfolgenden Fehler dialektisch materialistisch erscheinen zu lassen:
Dieses [mechanisch materialistische] Verständnis steht einem marxistischen Verständnis von Materie diametral entgegen. Es klammert die tiefer liegenden dialektischen Prozesse der gesellschaftlichen Verhältnisse als Teil der objektiven, materiellen Realität aus. Wir wollen dem einen marxistischen Materiebegriff entgegenstellen: Wenn wir philosophisch von Materie sprechen, meinen wir mit dem Begriff Materie die gesamte Außenwelt mit allen ihren Erscheinungen (im Folgenden auch als objektive Realität bezeichnet). Sie besteht unabhängig vom menschlichen Bewusstsein und wird durch dieses abgebildet.2
Es ist richtig, dass ein bloßer Empirismus oder Positivismus, der nur das Messbare für die Wirklichkeit nimmt, mangelhaft ist, und dem dialektischen Materialismus widerspricht. Es ist auch richtig, dass der dialektische Materialismus eine monistische Weltanschauung ist, das heißt, dass wir alles als materiell verstehen, und nicht an eine von der Wirklichkeit getrennte Sphäre des Ideellen glauben.3 Das bedeutet aber nicht, dass es keinen Widerspruch von Sein und Bewusstsein gebe, das Sein und Bewusstsein nicht voneinander unterscheidbar wären. Selbstverständlich gibt es diesen Widerspruch. Selbstverständlich kann man Sein und Bewusstsein unterscheiden. Der dialektische Materialismus wendet sich lediglich gegen den Dualismus des Idealismus, der Sein und Bewusstsein als absolut voneinander, nicht mit einander verbunden, nicht auf einander wirkend, setzt.
Die Autoren scheinen das auch anzuerkennen, wenn sie sagen, dass die Materie unabhängig vom Bewusstsein bestehe und von diesem abgebildet werde. Allerdings kassieren sie diese Anerkennung des Widerspruchs von Sein und Bewusstsein wieder ein, wie wir im Zuge des Textes noch sehen werden. Dieses Einkassieren ist hier bereits angedeutet. Denn der echte dialektische Materialismus, der sich nicht mit dem subjektiven Idealismus versöhnt, gilt ihnen als mechanisch und empiristisch.
Im gleichen Absatz wird auch schon der Grundstein für ihre Versöhnung mit dem subjektiven Idealismus gelegt. Darin steckt ein Gedanke, der wenig später nochmal aufgegriffen wird, daher hier beide Zitate nebeneinander:
Als Menschen sind wir zwar Bestandteil der natürlichen Umwelt, aber ab der Entstehung menschlicher Gesellschaften wurden diese zu den bestimmenden Verhältnissen. Wiederum für diese Gesellschaften ist die Produktionsweise das Fundament, auf dem alle weiteren Elemente aufbauen. Zu diesen Elementen gehören auch die Geschlechterverhältnisse und darauf aufbauend die dadurch geprägte menschliche Sexualität.4
Wir sind zwar Bestandteil der natürlichen Umwelt, aber ab der Entstehung menschlicher Gesellschaften wurden diese zu den bestimmenden Verhältnissen. Wiederum für diese Gesellschaften sind die Produktionsverhältnisse das grundlegende Fundament, auf dem alle weiteren Elemente aufbauen.5
Das klingt nach Marxismus, hat damit aber wenig zu tun, und dient dem Zweck den subjektiven Idealismus zu rechtfertigen.
Richtig wäre: Es gibt einen Widerspruch von Gesellschaft und Natur. Die Arbeit des Menschen vermittelt den Stoffwechsel mit der Natur. Für die Entwicklung der Gesellschaft ist das entscheidende ihr innerer Widerspruch, der Klassenkampf. Die Natur wirkt auf die Gesellschaft bloß vermittels des inneren Widerspruchs.
Die Formulierung der Autoren, dass die Gesellschaft zu den „bestimmenden Verhältnissen“ geworden sei, ist eine sehr wirre. Ein Verhältnis besteht zwischen zwei Dingen. Welche Dinge? Welche Verhältnisse? Richtig ist: der innere Widerspruch der Gesellschaft, das Verhältnis ihrer Bestandteile (Klassen) zueinander, ist das bestimmende Verhältnis für ihre Entwicklung. Der Klassenkampf treibt die Geschichte voran. Oder geht es um das Verhältnis von Gesellschaft und Natur? Soll die Gesellschaft seit ihrer Entstehung die bestimmende Seite im Verhältnis von Gesellschaft und Natur sein? Das wäre eine ganz andere Behauptung!
Und diese Behauptung wäre übrigens falsch. Heute streiten Geografen und Geologen, ob wir in einer neuen geochronologischen Epoche, dem Anthropozän, leben und der Mensch zum entscheidenden Faktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Zu behaupten, dies sei in der antiken Sklavenhaltergesellschaft der Fall gewesen, in der die Naturbeherrschung so gering ausgeprägt war, dass Polytheismus und Naturreligionen die dominante Weltanschauung waren, ist schlichtweg absurd. Diese Behauptung funktioniert nur, wenn man dogmatische Prinzipien a priori aufstellt, von der sich dann die eigenen Leute in ihrem Denken leiten lassen, um sich dann völlig ignorant zu den besonderen Widersprüchen, die man doch angeblich erkennen will, zu stellen.
Die Formulierung der Autoren ist absichtliche Sophisterei. In der Erwartung ein marxistisches Publikum vor sich zu haben, benutzt man Formulierungen, die schwer zu verstehen sind, aber so ähnlich wie etwas marxistisches klingen. Den marxistischen Gedanken, den man kennt, kann man dann assoziieren, wenn man versucht die wirre Formulierung zu verstehen. Dann findet man das erstmal richtig, und schon wurde einem Blödsinn untergejubelt.
Doch wozu behauptet man so etwas? Hier wird die spätere Affirmation des subjektiven Idealismus vorbereitet. Indem man behauptet, dass die Gesellschaft gegenüber der Natur das Hauptsächliche sei, wird die spätere Behauptung, dass das „dreidimensionale“ Geschlecht in der Hauptsache ein gesellschaftlich determiniertes Gefühl wäre, legitimiert. Allerdings waren sie nicht mutig genug zu versuchen, die Behauptungen miteinander als Schluss und Prämisse zu vermitteln. Sie bleiben einfach unvermittelt nebeneinander stehen.
II. Marxismus aus einer anderen Dimension
Das nächste Kapitel heißt „Das Geschlecht und seine Dimensionen“. Das klingt geschwollen und irgendwie ein bisschen nach Science-Fiction, ist es auch. Bei den drei Dimensionen soll es sich um folgendes handeln:
Was wir mit dem Begriff Geschlecht heute ausdrücken, ist ein Komplex aus drei Dimensionen, die sich gegenseitig in unterschiedlichem Maße beeinflussen. Wir sprechen von körperlichen Geschlechtsmerkmalen, der gesellschaftlichen Geschlechtsfunktion und der geschlechtlichen Ebene der Persönlichkeit.6
Zunächst nennen sie die „körperlichen Geschlechtsmerkmale“ und versichern dem skeptischen Leser, dass sie als altbewährte Materialisten natürlich um die Realität von Körpern wissen. Dann sprechen sie von „gesellschaftlicher Geschlechtsfunktion“, was den skeptischen Leser verwirren mag, denn man fragt sich wie kann die gesellschaftliche Funktion des Geschlechts, also etwas dem Geschlecht äußerliches, gleichsam Bestandteil der Definition des Geschlechts sein? Die Antwort ist leicht: Kann es nicht, das ist ein logischer Widerspruch. Drittens kommt dann die „geschlechtliche Ebene der Persönlichkeit“ dazu, was nicht weniger verwirrend ist. Denn wie ist denn nun eine Ebene der Persönlichkeit, also ein Teil der Persönlichkeit, eine Dimension des Geschlechts, also ein Teil dessen? Sind Persönlichkeit und Geschlecht zwei sich überschneidende Kreise? Ist dann die „geschlechtliche Ebene der Persönlichkeit“ auch die persönliche Ebene des Geschlechts? Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Ebene, einer Dimension und einem Komplex?
Weg vom Text des KA und zurück zur Wirklichkeit: Geschlecht ist eine Eigenschaft von Körpern bei Gattungen deren Fortpflanzung durch Gameten vermittelt funktioniert. Oder näher an der Praxis unserer Leser: Wenn Frauen und Männer Sex haben, dann können Frauen dabei schwanger werden. Wenn Menschen mit dem gleichen Geschlecht Sex haben, dann wird niemand schwanger. Die Prozesse, die dahinter stecken kann man noch mehr im Detail verstehen, aber im Allgemeinen hat man es verstanden, wenn man das weiß.
Die gesellschaftliche Funktion des Geschlechts und die Persönlichkeit haben damit erstmal gar nichts zu tun, und sie sind auf jeden Fall nicht Teil dieser biologischen Tatsache.
1. Der eindimensionale Körper
Das besagte Kapitel hat mehrere Unterkapitel, denen wir uns auch noch widmen wollen. Das Unterkapitel zu den „körperlichen Geschlechtsmerkmalen“ beginnt mit dem folgenden Absatz:
Die körperlichen Geschlechtsmerkmale werden oftmals auch als „biologisches Geschlecht“ bezeichnet. Die Biologie als „Wissenschaft der Lebewesen“ ist als wissenschaftliche Disziplin jedoch genauso den Klassen- und Geschlechterverhältnissen unterworfen, weswegen wir „körperlich“ als den konkreteren Ausdruck verstehen, um auszudrücken, dass es sich hierbei um die Frage der Fortpflanzungsorgane, Hormone, Chromosomen usw. handelt. Diese Merkmale treten bei verschiedenen Lebewesen meist in ähnlichen Kombinationen auf. Bei Säugetieren wird heute in der Regel weiblich über die Bereitstellung von Eizellen und männlich über die Beisteuerung von Samenzellen definiert, also die Beiträge zur Reproduktion der Spezies.7
Wenn man das liest, geht es einem wie dem Erzähler im Film „La Haine“ und man denkt sich, bis hierhin lief es eigentlich noch ganz gut. Sie wissen um den Klassencharakter der Naturwissenschaft. Sie wissen darum, dass die Fortpflanzung von Säugetieren, also auch Menschen auf zwei Geschlechtern und zwei Typen von Eizellen beruht. Bis hierhin lief es eigentlich noch ganz gut:
Diese unterschiedlichen Beiträge zur Fortpflanzung gibt es auch beim Menschen. Als am häufigsten auftretende Merkmalskombinationen gibt es zwei Pole, die wir uns als zwei Enden eines Spektrums vorstellen können. Der männliche Pol mit den klassischen Merkmalen Penis, Hoden, XY- Chromosomen usw. und der weibliche Pol mit Vulva, Eierstöcken, XX-Chromosomen usw. Darüber hinaus gibt es jedoch auch andere Merkmalskombinationen als diese. Hier lassen sich zwei Arten von „Abweichungen“ unterscheiden: Zum einen gibt es zum Beispiel Menschen, die sowohl Hoden als auch Eierstöcke besitzen oder die mit XY-Chromosomen geboren werden, aber keinen Penis haben. Diese Art der angeborenen körperlichen Ausprägung wird als intergeschlechtlich bezeichnet. Zum anderen können transgeschlechtliche Personen, auf die wir an späterer Stelle noch genauer eingehen werden, ebenfalls unterschiedliche Kombinationen an körperlichen Merkmalen aufweisen. Diese sind bewusst herbeigeführt und beruhen u. a. auf der gleichartigen Wirkung von Hormonen in allen menschlichen Körpern. So ist es zum Beispiel für trans Frauen möglich, durch eine Hormontherapie mit Östrogen Brustwachstum zu entwickeln.8
Hier werfen sie den Widerspruch von Quantität und Qualität und das Gesetz vom Umschlag quantitativer Entwicklung in qualitative Entwicklung über Bord, und vom Verhältnis von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem wissen sie auch nichts.
Die menschliche Gattung weist zwei Geschlechter auf, die sich miteinander fortpflanzen können. Dieser Gedanke ist eine Verallgemeinerung der Erfahrung mit lauter einzelnen menschlichen Körpern. Das Allgemeine und das Einzelne sind nicht restlos identisch miteinander. Es gibt einzelne Körper, die vom allgemeinen Begriff des Geschlechts abweichen. Deshalb aber die einzelnen Körper als bimodale Glockenkurve von lauter einzelnen Punkten auf einem Graphen zu beschreiben, heißt hinter den Begriff vom Geschlecht zurückfallen. Die Behauptung eines Spektrums unterscheidet eben nicht mehr zwischen den zwei Geschlechtern, leugnet den Begriff des Geschlechts, und fällt somit hinter das Verständnis der menschlichen Fortpflanzung zurück. Es werden einfach bloß menschliche Körper grafisch beschrieben, und nichts wird dadurch erklärt. Das ist begrifflose Zahlenmalerei, die dadurch Erkenntnis suggeriert, dass sie „näher“ am Konkreten ist als der allgemeine Begriff. Aber nah am Konkreten heißt hier eben begrifflos. Dieses Einkassieren des Begriffs des Geschlechts durch das begrifflose, konkretistische Spektrum dient später dazu zu behaupten, man könne sein Geschlecht ändern. Wenn es nur quantitative Unterschiede gibt, dann hat man nach der Operation halt andere Merkmale als vorher und sich somit auf dem Spektrum bewegt.
Die sogenannte Intersexualität bedeutet nicht, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Die Intersexualität (0,018% der Weltbevölkerung) bedeutet, dass es eine Schwelle gibt, wo quantitative Unterschiede in qualitative Unterschiede umschlagen, und einzelne Körper sich nicht den allgemeinen Kategorien zuordnen lassen. Trotzdem werden Frauen schwanger, und Männer produzieren Sperma, und dadurch funktioniert die menschliche Fortpflanzung. Darum geht es beim Begriff vom Geschlecht.
Man stelle sich vor, jemand würde behaupten, es gebe kein Proletariat und keine Bourgeoisie, sondern Eigentum sei ein Spektrum. Alle haben halt Eigentum. Das Vermögen von Proleten auf ihrem Konto wird manchmal sogar verzinst. Einige Proleten haben auch Aktien oder Bitcoins. Manchmal gehen Milliardäre auch gegen Lohn arbeiten. Und dann gibt es auch noch Kleinbürger! Die arbeiten selbst, und organisieren Ausbeutung, auch noch ihre eigene! Das sind dann die Intersexuellen der Klassengesellschaft. Es ist alles viel komplizierter! Da kann man nichts allgemeines feststellen! Es ist ein Spektrum! So jemanden würde man in marxistischen Kreisen auslachen, aber beim Geschlecht wird das geschluckt? Wenn ein bürgerlicher Ökonom eine Grafik zur Einkommensverteilung in der BRD malt, dann stellt sich doch auch kein Marxist hin und freut sich wie viel konkreter das ist und wirft den Begriff von Proletariat und Bourgeoisie über Bord.
Das Unterkapitel bekommt noch ein Unterkapitel, worin sie zwischen Zweigeschlechtlichkeit und binärem Geschlechtersystem unterscheiden wollen:
Als zweigeschlechtlich wird die sexuelle Fortpflanzung von Lebewesen mit einem Zellkern (wie dem Menschen) bezeichnet, da zwei unterschiedliche Geschlechtszellen gebildet werden, die bei der Befruchtung zu einer Zelle verschmelzen, aus der ein neues Lebewesen entsteht. Im Unterschied dazu wird mit binärem Geschlechtersystem nicht die Art der Fortpflanzung bezeichnet, sondern die daraus abgeleitete gesellschaftliche Vorstellung, dass es auf allen Ebenen nur genau zwei Geschlechter – Mann und Frau – gebe.9
Das ist im Grunde das hilflose Eingeständnis, dass man zugeben muss, dass die menschliche Gattung bloß zwei Geschlechter hat. Aus der Misere will man dann rauskommen, indem man dem Geschlecht dann Dimensionen (oder doch Ebenen?) verpasst, und in es Dinge hinein definiert, die ihm äußerlich sind. Womit wir zum nächsten Unterkapitel kommen.
2. Das unverinnerlichte Äußerliche als Innerliches
Das nächste Unterkapitel trägt den Namen „Zweite Dimension: Gesellschaftliche Geschlechtsfunktion“. Wie oben bereits bemerkt wird hier die gesellschaftliche Funktion des Geschlechts, also etwas dem Geschlecht äußerliches zum Bestandteil der Definition des Geschlechts erklärt. Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Es ist wirklich merkwürdig wie so ein Unfug durch die kollektive Kontrolle einer Parteiaufbauorganisation abgesegnet wird.
Vielleicht hat es etwas mit dem Inhalt des Unterkapitels zu tun, denn der behandelt ein ganz anderes Thema als die Überschrift. Zu weiten Teilen dreht sich das Unterkapitel um die Operationen an intersexuellen Säuglingen und Kleinkindern. Hier können wir ausnahmsweise mal zustimmen: Das ist schrecklich. Da diese Ausführungen aber nur einen indirekten Zusammenhang zur Überschrift haben, lassen wir sie in der folgenden Zitation aus, damit das Zitat ein wenig strukturierter wird:
Die gesellschaftlichen Geschlechtsfunktionen bauen auf den körperlichen Merkmalen auf und weisen den beiden Polen Männer und Frauen gesellschaftliche Funktionen im herrschenden System zu, auf die wir noch genauer eingehen werden. Seit Jahrtausenden führen die äußerlich sichtbaren körperlichen Unterschiede dazu, dass jedes geborene Kind einem Geschlecht zugeordnet wird. Kinder, bei denen die Geschlechtsorgane „eindeutig“ zugeordnet werden können, werden entweder als Jungen oder als Mädchen aufgezogen. […] Wenn wir davon sprechen, dass die gesellschaftliche Geschlechtsfunktion auf den körperlichen Merkmalen aufbaut, dann handelt es sich dabei um eine allgemein-gesellschaftliche sowie eine konkret-individuelle Entwicklung. So basieren die gesellschaftlichen Funktionen für Mann und Frau auf den zwei biologischen Polen männlich und weiblich. Aber auch wird, wer als Kind mit männlichen/weiblichen Merkmalen auf die Welt kommt, als Junge/Mädchen erzogen. Ziel davon ist, dass in Zukunft die gesellschaftliche Funktion eines Mannes/einer Frau erfüllt wird.10
Die Auslassung dreht sich um Intersexualität, und im Rest steht einfach nichts konkretes zur Frage der „gesellschaftlichen Funktion“ des Geschlechts. Das ist auch notwendig, denn wenn auf die Inhalte dieser „gesellschaftlichen Funktion“ nämlich die Rollenbilder und gesellschaftlichen Ansprüche, die an die Menschen wegen ihrer Körper herangetragen werden, eingegangen werden würde, dann würde sofort auffallen, dass diese eben nicht Bestandteil des Geschlechts des Körpers sind. Sie sind dem Körper, also auch dem Geschlecht äußerlich. Sie ergeben sich viel mehr aus dem Verhältnis der Interessen von Staat und Kapital an dem Körper. Der Gebrauchswert der geschlechtlichen Körper für Staat und Kapital ist nicht das Wesen des Körpers selbst, sondern ergibt sich aus dem Verhältnis des Körpers zu diesen Interessen. Die gesellschaftliche Moral, die sich auf dieser Grundlage bildet, die sogenannten Rollenbilder, sind auch nicht die Körper selbst. All diese Vermittlungen werden durch gestrichen und alles wird als Dimension des Geschlechts unterschiedslos miteinander vermengt.
Die Behauptung, dass die gesellschaftliche Moral und die Körper identisch wären, kennt man eigentlich nur von reaktionären Apologeten des Patriarchats wie zum Beispiel Matt Walsh, Jordan Peterson oder Debra Soh. Die behaupten auch, dass sex und gender, Geschlecht und geschlechtliches Rollenbild miteinander identisch wären, um das Patriarchat als natürlich zu legitimieren. Hier ist es irgendwie fortschrittlich gemeint. Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.11
Und übrigens: Die Relevanz der Erkenntnis des Geschlechts durch den Arzt ergibt sich aus den patriarchalen Verhältnissen. Die patriarchalen Verhältnisse ergeben sich nicht aus der Aussage von Ärzten. Und der Umstand, dass die Ärzte manchmal falsch liegen, widerlegt nicht das binäre System, sondern bestätigt es.
3. Die Dimension des Einen als Ebene des Anderen
Hier wird der gleiche Fehler aus dem vorherigen Kapitel wiederholt und ein dem Geschlecht äußerliches Ding als dem Geschlecht innerlich definiert, also das Gegenteil von Analyse betrieben. Statt Dinge zu unterscheiden, und zu verstehen, werden sie in der Wirklichkeit widersprechenden Abstraktionen miteinander vermengt.
Die geschlechtliche Ebene der Persönlichkeit soll also die dritte Dimension des Geschlechts sein. Fragt sich, was denn die Persönlichkeit überhaupt ist?
Unter Persönlichkeit hingegen verstehen wir das Grundgerüst, auf dem das alltägliche Bewusstsein einer Person aufbaut. Das Bewusstsein wiederum umfasst alle sinnlichen und rationalen Widerspiegelungsformen sowie den Bereich der menschlichen Emotionen und des Willens. Die Psyche, das Bewusstsein und die Persönlichkeit jedes einzelnen Individuums werden durch all jene natürlichen und gesellschaftlichen Einflüsse, die es umgeben, geprägt. Dabei spielen nicht nur die jeweils gegebenen Verhältnisse, gesellschaftlichen Strukturen und Widersprüche, sondern auch ihre historische Entstehung und dauerhafte Veränderung eine entscheidende Rolle.12
Die Persönlichkeit sei ein Grundgerüst. Das alltägliche Bewusstsein baue auf diesem Grundgerüst auf. Das Bewusstsein umfasse alle sinnlichen und rationalen Widerspiegelungsformen, sowie die Emotionen und den Willen. Die Persönlichkeit ist also keine sinnliche oder rationale Widerspiegelungsform (wovon eigentlich?), und umfasst nicht die Emotionen und auch nicht den Willen, sondern ist das Grundgerüst davon? Die Psyche (wird nicht weiter definiert), das Bewusstsein und die Persönlichkeit würden durch natürliche und gesellschaftliche Einflüsse geprägt werden. Sind Psyche und Persönlichkeit also auch Widerspiegelungsformen? Zu diesen natürlichen und gesellschaftlichen Einflüssen sollen nicht nur die gegebenen Verhältnisse, Strukturen und Widersprüche zählen, sondern auch die Entstehung und dauerhafte Veränderung der Verhältnisse, Strukturen und Widersprüche eine Rolle spielen.
Das ist ein ziemliches Durcheinander, aber in all dem Tohuwabohu lässt sich doch wenigstens ein bisschen etwas fest machen. Irgendwie gibt es eine Persönlichkeit, die das Grundgerüst für Willen und Bewusstsein sei. Was das Wort Grundgerüst bedeutet, wird nicht ausgeführt, aber es wird wohl so etwas wie das Bewusstsein (Gedanken, Gefühle, Willen) strukturierend, ordnend, bestimmend bedeuten. Festzuhalten ist auch, dass von einer Wechselwirkung hier jedenfalls keine Rede ist. Von einer Wirkung vom Willen auf die Persönlichkeit hört man nichts. Es scheint eine metaphysische Einbahnstraße zu sein und kein dialektisches Verhältnis zu bestehen. Die Persönlichkeit selbst hat auch keinen inneren Widerspruch, sondern ist mechanisches Resultat äußerer Einflüsse. Und irgendwie wirken nicht nur gegenwärtige Einflüsse auf die Persönlichkeit, sondern auch vergangene. Wie vergangene Einflüsse anders denn als in gegenwärtigen Einflüssen aufgehobene wirken, das erklären die Autoren leider nicht.13
Nahtlos weiter geht es mit dem im folgenden zitierten Sätzen:
So ist es auch beim Verhältnis eines Individuums zum eigenen Geschlecht. Das „gesellschaftliche Geschlecht“ als Funktion, die es in der patriarchalen Gesellschaft zu erfüllen gilt, wird sich in dem Sinne zu eigen gemacht, dass es von einem äußeren Zwang zu einer vermeintlich natürlichen Tatsache wird. Über die enorme Bedeutung dieser Funktion wird sie zudem auch zu einem bedeutendem Teil der Persönlichkeit. Welches Geschlecht das Individuum hat, hat in jedem Bereich des Lebens Konsequenzen.14
Das Wort „so“ steht stellvertretend für den ganzen Schmarrn aus dem vorherigen Zitat. Das „gesellschaftliche Geschlecht“ aka die gesellschaftliche Funktion des Geschlechts wird hier endlich als dem Subjekt und seinem Körper Äußerliches erkannt, dass sich zunächst zu eigen gemacht werden müsse, um ein Innerliches zu werden. Dann werde es zu einer vermeintlich natürlichen Tatsache. Hier ist fast schon so etwas wie eine Kritik der patriarchalen Metaphysik erreicht. Auch in der Formulierung „zu eigen machen“ klingt es fast nach subjektiver, vielleicht gar bewusster und willentlicher Tätigkeit. Es klingt beinahe nach dialektischen Materialismus und einer Abkehr vom vorher formulierten mechanisch materialistischem Standpunkt. Doch leider werden dann alle analysierten Unterschiede und zumindest angedeuteten Übergänge glatt gebügelt, indem man alles wieder als „Geschlecht“ miteinander zusammen wirft. Es wäre tragisch, wenn es nicht so komisch wäre.
III. Wieso, weshalb, warum? Wer das fragt, ist dumm!
Jetzt nähern wir uns endlich der Stelle im Text, die offenbart, was die Autoren damit bezwecken. Denn die ganze Flickschusterei kommt zu ihrem Ende. Nachdem sie über weite Teile ihres Textes versucht haben ihren subjektiven Idealismus als dialektischen Materialismus zu verkleiden, ziehen sie blank:
Aus diesem dialektisch-materialistischen Verständnis von Geschlecht folgt: Welches Geschlecht eine Person hat, weiß die Person selbst am besten.15
Das ganze Brimborium haben sie veranstaltet, um ihre Position als marxistisch, als dialektisch materialistisch, als historisch materialistisch zu verkaufen, um am Ende bei diesem Offenbarungseid zu landen. Da kann man noch so lange Texte schreiben, wenn man so offen sein Bekenntnis zum subjektiven Idealismus in die Welt hinaus schreit, hilft auch das ganze Vorgeplänkel nichts mehr. Man soll nichts hinterfragen oder nachforschen, denn das subjektive Gefühl ist schon die ganze Wahrheit!
Aber das will man natürlich nicht gesagt haben. Wie kommt man aus der Nummer wieder raus?
Das komplexe Zusammenwirken zwischen dem eigenen Körper, den von der Gesellschaft gestellten Erwartungen, den zu erfüllenden Funktionen in der kapitalistischen Gesellschaft, den persönlichen Bedürfnissen und die Widersprüche zwischen diesen Aspekten spiegeln sich alle in der Persönlichkeit wider und ergeben die Erkenntnis für das Individuum, welchem Geschlecht es zugehört. Darüber hinaus ist das individuelle Verständnis des eigenen Geschlechts vollständig durch den Kapitalismus und das Patriarchat geformt und in diesem Sinn auch ein konkreter Ausdruck der allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse. Dieses eigene Verständnis bildet heute den entscheidenden Bezugspunkt für das Individuum. Für Menschen, bei denen dieses nicht in bedeutendem Widerspruch zu den vorherrschenden gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen steht, stellt sich die Frage „Welches Geschlecht habe ich?“ meist gar nicht erst. Für trans Personen wiederum spielt sie eine bedeutende Rolle im Leben. Ist die Antwort auf die Frage nach dem eigenen Geschlecht die, transgeschlechtlich zu sein, ist dies der Ausgangspunkt zum Beispiel für die Änderung des Vornamens oder einer medizinischen Transition. Diese Maßnahmen haben den Zweck, für das Individuum selbst sowie für das soziale Umfeld den Widerspruch zwischen den verschiedenen Dimensionen des Geschlechts zu verringern oder aufzulösen, wobei – wie bereits geschrieben – diese Auflösung innerhalb des Patriarchats unmöglich ist. Wann genau für ein Individuum die Erkenntnis zu Tage tritt, trans zu sein, kann sehr unterschiedlich sein (Kindheit, Jugend, frühes oder spätes Erwachsenenalter) und hängt von vielen Faktoren ab, spielt aber für die Tatsach des Transseins keine zentrale Rolle. Es handelt sich beim geschlechtlichen Selbstverständnis also nicht um eine Frage des Willens. Was bestimmt werden kann und worauf wir als Menschen Einfluss haben, ist aber der jeweilige Umgang damit. Das Individuum kann sich dazu entscheiden, zum Beispiel diese Frage beiseite zu schieben und diesen Teil der eigenen Persönlichkeit möglichst zu verdrängen, oder sich sehr stark damit nach außen zu wenden. Auf den Umgang anderer Menschen mit dem eigenen Selbstverständnis hat man sehr viel weniger Einfluss; der hat aber wiederum sehr viel Einfluss zum Beispiel auf das eigene psychische Wohlbefinden.16
Das etwas komplex ist, bedeutet, dass es verflochten, zusammenhängend oder vielschichtig ist, jedenfalls nicht einfach oder leicht zu verstehen. Wenn Studenten sagen, dass etwas komplex sei, dann geben sie meistens Auskunft über ihren mangelnden Willen es zu analysieren, also zu entflechten und auseinander zu pulen. Anschließend werfen sie jedem Versuch es zu verstehen vor, er sei unterkomplex. An dieser Stelle soll das Wort wohl andeuten, dass es hochkompliziert sei, und man die Sache auf jeden Fall nicht hinreichend verstanden habe, wenn man weiß, dass die einen schwanger werden können und die anderen nicht. Dazu passend ist ihre mechanische Erklärung auch eher eine Mystifikation, denn die Faktoren sind so komplex, dass sie unüberschaubar sind, und man sich dann doch lieber auf das subjektive Gefühl der betreffenden Person verlässt.
Nicht nur wie das dreidimensionale Geschlecht zu Stande komme, ist mechanisch materialistisches Resultat äußerer Einflüsse, sondern auch die Erkenntnis des selben ergebe sich ganz ohne Zutun des erkennenden Subjekts. Irgendwie daher sei der subjektive Idealismus heute auch einfach zeitgemäß. Dann wird nochmal klar gestellt, dass das mit dem Willen nichts zu tun habe, sondern wirklich mechanisch materialistisches Resultat äußerer Einflüsse sei! Und daraus wird dann das moralische Gebot geschlussfolgert, dass man das subjektive Gefühl der Leute auch zu bestätigen habe! Schließlich würden nur unempathische Unmenschen ihrer Verantwortung für das psychische Wohlbefinden der willenlosen trans Menschen nicht gerecht werden. Der mechanische Materialismus soll den subjektiven Idealismus kaschieren. Der moralische Druck soll die Kritik denunzieren. Dann sagt man nochmal dreimal, dass das dialektisch wäre und dreht sich im Kreis und der Zauber ist perfekt.
Am erschreckendsten hieran ist die Herabwürdigung von sich trans identifizierenden Menschen zu willenlosen, nicht denkenden Opfern, die von der empathischen Anerkennung ihres Wahns durch ihr Umfeld abhängig wären. Die Autoren degradieren sich trans identifizierende Menschen zum Objekt. Wobei sie immerhin konsequenter sind als die meisten Queerfeministen, und diese Herabwürdigung gleich für uns alle machen. Jeder ist willenloses, mechanisch-materialistisches Resultat seiner äußeren Einflüsse. Im Grunde können auch Andrew Tate und Shirin David die empathische Anerkennung ihrer Persönlichkeit einfordern, denn mit dem Willen hat das ja alles nichts zu tun.
Der Leser bleibt rätselnd zurück, wie beim Kommunistischen Aufbau eigentlich Kritik und Selbstkritik funktioniert, wenn alle willenlose Produkte ihrer äußeren Einflüsse sind? Wie übernimmt man dann Verantwortung für sein Denken und Handeln? Wie verändert man sich selbst und wie verändert man sein Handeln?
Selbstverständlich sind die Autoren nicht doof, und wissen, dass dieser ganze mechanische Materialismus verdächtig nach Metaphysik riecht. Daher grenzen sie sich davon natürlich auch wieder ab. Es soll ja niemand etwas falsches denken:
Geschlecht ist dennoch keine unbewegliche, unveränderliche Tatsache – historisch-gesellschaftlich sowie individuell. So wie es sich durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren ergibt, so kann es sich ebenfalls durch quantitative oder qualitative Unterschiede der Faktoren und in ihrem Verhältnis zueinander verändern. Diese Unterschiede müssen eine gewisse Dauer und Intensität haben. Insbesondere auf gesamtgesellschaftlicher Ebene müssen Generationen vergehen, um wirklich bemerkbare Wandlungen beobachten zu können. Auch auf individueller Ebene ändert sich keine Dimension in ihrer Qualität von heute auf morgen. Veränderungen sind aber immer möglich.
Unbeweglich und unveränderlich sei es nicht, sagen die Autoren, denn das wäre ja nicht dialektisch und soll es ja sein! Die Veränderung durch äußerliche Faktoren bleibt zwar mechanisch, und somit auch metaphysisch, aber immerhin ist es nicht statisch. Zu viel Veränderung darf es aber auch nicht sein! Wenn die Zustände nicht eine gewisse Dauer und Intensität hätten, dann liegt womöglich doch Subjektivismus vor. Genderfluidität will man dann doch nicht absegnen. Veränderungen gebe es jedenfalls nicht von heute auf morgen. Also nicht sprunghaft, sondern nur allmählich? Den Umschlag von Quantität in Qualität hatten sie schon entsorgt, da macht die Rehabilitation der Allmählichkeit jetzt den Kohl auch nicht mehr fett.
IV. Schluss
Die zirkuläre Definition des dialektischen Materialismus passt zu ihrem idealistischen Dogmatismus. Die absurde pseudo-historisch-materialistische Behauptung, dass die Gesellschaft im Widerspruch zur Natur seit der Sklavenhaltergesellschaft die hauptsächliche Seite wäre, beruht auf diesem idealistischen Dogmatismus, der von der Wirklichkeit nichts wissen will, was die eigenen idealistischen Dogmen ins Wanken bringen könnte, und sich daher mit dem Besonderen gar nicht mehr befasst.
Dann kommt die heilige Dreifaltigkeit des Geschlechts. Die Autoren werfen die drei unterschiedlichen Gegenstände Geschlecht, patriarchale Rollenbilder und Subjektivität miteinander zusammen. Dadurch wird es unmöglich die Zusammenhänge zwischen diesen unterschiedlichen Dingen zu erklären. Aber es geht auch gerade nicht um eine Erklärung, sondern um eine Mystifikation. Die Metaphysik und der Idealismus schreien zum Himmel. Doch man versucht weiter Marxismus zu simulieren, indem man mechanisch materialistisch von äußeren Einflüssen faselt. Als hätte Marx nie die Feuerbachthesen geschrieben, wird das Subjekt durchgestrichen. Als hätte Engels nie den mechanischen Materialismus kritisiert, wird der innere Widerspruch durchgestrichen.
Die abstrakte Behauptung, dass die Gesellschaft im Widerspruch zur Natur die hauptsächliche Seite sei, dient als dogmatische Grundlage, um den subjektiven Idealismus als Schlussfolgerung aus dem historischen Materialismus erscheinen zu lassen. Der Körper wurde zwar als Dimension des Geschlechts anerkannt, aber wie wir jetzt wissen ist die Natur nebensächlich. Die Gesellschaften sind die bestimmenden Verhältnisse! Das geschichtstheoretische Dogma und die subjektiv-idealistische These werden nicht miteinander vermittelt, aber das Voranstellen des Dogmas soll den späteren subjektiven Idealismus historisch materialistisch adeln.
Da man irgendwann mal Engels gelesen hat, merkt man, dass das alles furchtbar nach Metaphysik riecht, und grenzt sich davon ab, indem man von Veränderung spricht. Doch steckt man in der Metaphysik schon so fest drin, dass man auf die metaphysische Theorie der Veränderung, die Allmählichkeit, zurückfällt. Als hätte Hegel niemals die Kategorien von Quantität und Qualität erörtert. Als hätte Mao Tse Tung die materialistische Wendung von Hegels Überlegungen nicht längst besorgt.
Und der ganze marxistische Mummenschanz bloß, um am Ende zu sagen: Welches Geschlecht man hat, weiß man am besten selbst!
Im Kampf gegen den Queerfeminismus steht einiges auf dem Spiel: Die Rechte von Frauen, die Strategie des Frauenkampfes, und nicht zuletzt der dialektische Materialismus. Wenn wir in dieser Frage wie der Kommunistische Aufbau die opportunistische Versöhnung mit dem subjektiven Idealismus der kleinbürgerlichen radikalen Linken suchen, dann opfern wir unsere Philosophie. Wenn der Marxismus in Fragen der Philosophie preis gegeben wird, dann macht sich das gemäß der Natur der Philosophie in allen anderen Fragen bemerkbar.
1 Geschlecht – eine marxistisch-leninistische Betrachtung. Link: https://komaufbau.org/geschlecht-eine-marxistisch-leninistische-betrachtung/
2 KA: Geschlecht.
3 Vgl. Plechanow, Geoorgi: Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung.
Link: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/plechanow/1894/monist/index.html
4 KA: Geschlecht.
5 KA: Geschlecht.
6 KA: Geschlecht.
7 KA: Geschlecht.
8 KA: Geschlecht.
9 KA: Geschlecht.
10 KA: Geschlecht.
11 Das ist eine Form der Fetischisierung des Geschlechts: Wie beim Warenfetisch werden die gesellschaftlichen Verhältnisse zur Eigenschaft von Sachen, hier der geschlechtlichen Körper, erklärt. Die Durchsetzung dieser Denkform bei Marxisten-Leninisten ist dem geringen ideologischen Niveau geschuldet. Die Leute wollen die Avantgarde sein, und haben nicht mal das Kapital gelesen.
12 KA: Geschlecht.
13 Im Gegensatz zum KA haben wir die Bildung der patriarchalen Subjektivität übrigens dialektisch materialistisch erklärt: Proletarischer Feminismus statt Queerfeminismus, I. 4. Das bürgerliche Subjekt und sein Geschlecht.
Link: https://dersperling.noblogs.org/post/2024/07/31/proletarischer-feminismus-statt-queerfeminismus/#__RefHeading___Toc508_2156847025
14 KA: Geschlecht.
15 KA: Geschlecht.
16 KA: Geschlecht.