Zur Imperialismus-Veranstaltung in Leipzig

Ein Genosse von uns hat auf Einladung der Roten Wende Leipzig einen Vortrag über den Imperialismus gehalten. Darin hat er auf Grundlage eines Zitats aus Lenins „Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus“ erklärt, inwiefern der Imperialismus das höchste Stadium des Kapitalismus, monopolistischer, parasitärer, faulender und sterbender Kapitalismus ist. Danach hat der Genosse im Anschluss an die chinesischen Briefe die Grundwidersprüche auf Weltebene erklärt. Zwischendurch wurde viel diskutiert, und auf diese Debatte soll in diesem Bericht auch eingegangen werden.

Dieser Text wird dabei nicht nur berichtend vorgehen, sondern auch andere Schwerpunkte setzen als der Genosse vor Ort mündlich, und Dinge zur Sprache bringen, die hätten gesagt werden sollen. Er ist also auch eine Korrektur und für Teilnehmer der Veranstaltung interessant. Wir empfehlen natürlich für ein tiefgehenderes Verständnis des Imperialismus und der aktuellen Weltordnung unseren Text: Der Imperialismus in seiner halbkolonialen Form.

Zunächst wurde die Nachrichtenlage über die Welt ein wenig zusammengefasst, um nochmal in Erinnerung zu rufen, was es sich denn zu erklären gilt. Der Krieg in der Ukraine, der Genozid in Gaza, der voranschreitende Klimawandel, die sonstige Naturzerstörung, die Ausrichtung des Staatshaushalts auf Kriegstüchtigkeit, der erneute und weitere Sozialabbau, und so weiter.

Das verwendete Zitat stammt aus dem Anfang des Textes und lautet wie folgt:

Wir müssen mit einer möglichst genauen und vollständigen Definition des Imperialismus beginnen. Der Imperialismus ist ein besonderes historisches Stadium des Kapitalismus. Diese Besonderheit ist eine dreifache: der Imperialismus ist 1. monopolistischer Kapitalismus; 2. parasitärer oder faulender Kapitalismus; 3. sterbender Kapitalismus. Die Ablösung der freien Konkurrenz durch das Monopol ist der ökonomische Grundzug, das Wesen des Imperialismus. Der Monopolismus tritt in fünf Hauptformen zutage:
1. Kartelle, Syndikate und Truste; die Konzentration der Produktion hat eine solche Stufe erreicht, daß sie diese monopolistischen Kapitalistenverbände hervorgebracht hat;
2. die Monopolstellung der Großbanken: drei bis fünf Riesenbanken beherrschen das ganze Wirtschaftsleben Amerikas, Frankreichs, Deutschlands;
3. die Besitzergreifung der Rohstoffquellen durch die Truste und die Finanzoligarchie (Finanzkapital ist das mit dem Bankkapital verschmolzene monopolistische Industriekapital);
4. die (ökonomische) Aufteilung der Welt durch internationale Kartelle hat begonnen. Solcher internationalen Kartelle, die den gesamten Weltmarkt beherrschen und ihn „gütlich“ unter sich teilen – solange er durch den Krieg nicht neu verteilt wird –, gibt es schon über hundert! Der Kapitalexport, als besonders charakteristische Erscheinung zum Unterschied vom Warenexport im nicht-monopolistischen Kapitalismus, steht in engem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und der politisch-territorialen Aufteilung der Welt;
5. die territoriale Aufteilung der Welt (Kolonien) ist abgeschlossen.

Um zu verstehen, inwiefern der Kapitalismus das höchste und letzte Stadium des Kapitalismus ist, muss man sich klar machen, dass der Kapitalismus eine Geschichte hat. Die kapitalistische Produktionsweise entstand im Schoße des Feudalismus. Das Verlagswesen (formelle, nicht reelle Subsumtion der Hausarbeit unter das Kapital) und die Manufaktur waren der Beginn der Bourgeoisie, die im Zuge der historischen Entwicklung immer stärker wurde, sich einen größeren Teil der Ökonomie aneignete, und dann als revolutionäre Klasse die politische Führung des Volkes übernahm und den Adel stürzte. Indem sie die politische Macht übernahm, setzte sie auch ihr Produktionsverhältnis durch. Dadurch wurde der Kapitalismus der freien Konkurrenz zur herrschenden Produktionsweise. Der monopolistische Kapitalismus, der Imperialismus, entwickelt sich aus den Widersprüchen des Kapitalismus, denn in diesem wirkt eine Tendenz zum Monopol. Diese Tendenz gibt es nicht nur logisch, sondern sie hat auch eine historische Verlaufsform.

 

Was meint Lenin mit Monopolismus?

Das Kapital akkumuliert, es häuft sich an. Dieser Prozess beginnt damit, dass ein Kapitalist Geld in Produktionsmittel und Arbeitskraft investiert, und darüber ein Produktionsprozess angestoßen wird, den das Kapital kommandiert. Das Kapital gestaltet den Produktionsprozess gemäß seinem Interesse an seiner eigenen Verwertung. Die Arbeit bringt Produkte hervor, die das Eigentum des Kapitalisten sind. Diese Produkte versucht der Kapitalist gewinnbringend zu verkaufen, um am Ende mehr Geld zu haben, als er am Anfang investiert hat.

Ob ihm das gelingt, ist nicht garantiert. Es ist sogar notwendig so, dass diese Spekulation auf erfolgreichen Absatz für einige Kapitalisten scheitern muss. Denn alle Kapitalisten produzieren privat gegeneinander mit dem Zweck, möglichst viel Geld zu verdienen, indem sie Waren an Menschen verkaufen, die ein zahlungsfähiges Bedürfnis danach haben. Diese zahlungsfähige Nachfrage ist begrenzt, und das Interesse an Absatz ist unbegrenzt. Die Kapitalisten konkurrieren um Absatz, und ihr Mittel in dieser Konkurrenz ist, billiger zu produzieren als die Konkurrenten, um billiger und erfolgreicher verkaufen zu können. Um billiger produzieren zu können, müssen sie effizienter produzieren. Die neuesten, größten und effizientesten Fabriken können die Kapitalisten bauen, die sowieso schon das meiste Geld haben. Das bedeutet, wer über das größte Kapital verfügt, hat die besten Chancen, in der Konkurrenz der Kapitalisten zu bestehen. Die größten Kapitalisten akkumulieren erfolgreich, und werden noch größer. Die kleineren, schwächeren gehen unter.1

Diese Tendenz zum Monopol hat historisch dazu geführt, dass ungefähr ab 1900 in den meisten Branchen so wenige Einzelkapitale gegeneinander konkurrierten, dass eine Situation eintrat, in der die freie Konkurrenz aufgehoben wurde. Denn wenn nur noch einige wenige Großkapitale gegeneinander konkurrieren, dann werden Absprachen möglich und zweckmäßig, um möglichst viel Profit zu machen. Die wenigen Großkapitale, die um Absatz konkurrieren, sprechen sich miteinander ab, um höhere Preise und somit höhere Profite zu ermöglichen.

Allerdings ist diese Tendenz nicht absolut, da aus dem gleichen Grund die Absprachen wieder gebrochen werden. Denn wer die Absprache bricht, kann Marktanteile erobern und so mehr Profit machen. Außerdem können Konkurrenten aus anderen Branchen Kredite aufnehmen und in die Branche einsteigen und so die Konkurrenz anheizen.

Die Monopolisierung findet in allen Branchen statt. Ein Beispiel wäre die Automobilbranche. Der weltweite Automobilmarkt wurde lange Zeit von wenigen großen Konzernen beherrscht. Konzerne wie Volkswagen, Toyota, Stellantis (Peugeot, Fiat, Chrysler), Renault-Nissan-Mitsubishi, General Motors und Ford teilten den Markt fast vollständig unter sich auf.

Die Konzerne sind außerdem auch ein Beispiel für die Zentralisation des Kapitals. Mehrere vorher eigenständige Unternehmen schließen sich zu einem Konzern zusammen, um ihre Kapitalmacht und Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen. Auch dies verschärft die Tendenz zum Monopol.

Diese Tendenzen zum Monopol gibt es auch beim Bankkapital, sodass das monopolistische Industriekapital und das monopolistische Bankkapital über ihre gegenseitigen Abhängigkeiten zum monopolistischen Finanzkapital verschmelzen.2

Ein weiteres Moment des Monopolismus ist die Monopolisierung der Rohstoffquellen. Denn wer über die Rohstoffe verfügt, bestimmt die Produktionspreise der sie verarbeitenden Branchen.

Der monopolistische Aspekt ist die Grundlage für den Parasitismus und die Fäulnis.

 

Was meint Lenin mit Parasitismus und Fäulnis?

Der Parasitismus ist ökonomisch, politisch und militärisch.

Die imperialistische Bourgeoisie exportiert Kapital in die Halbkolonien, um sich die dortigen Reichtumsquellen Natur und Arbeit zu erschließen und im Dienst an ihrer Kapitalakkumulation auszubeuten. Die Profite fließen zurück und mehren die Macht der imperialistischen Bourgeoisie.

Das geringe Geschäftsvolumen in den Währungen der Halbkolonien macht deren Währungen instabil. Durch das gigantische Geschäftsvolumen in den Währungen der Imperialisten werden diese zum Ziel der Kapitalflucht aus den Halbkolonien, da sie Stabilität versprechen. Der Kapitalexport der Imperialisten ist Ausdruck von deren Stärke. Die Kapitalflucht der Kompradorenbourgeoisie ist Ausdruck von deren Schwäche.

Auch das Proletariat in den imperialistischen Nationen profitiert ein Stück weit von diesem Parasitismus, da die darauf beruhende Stärke der Währung es ermöglicht, im Ausland produzierte Waren billig zu kaufen.

Der politische Aspekt des Parasitismus beruht darauf, dass die Imperialisten die von ihnen unterworfenen Halbkolonien einspannen, um diplomatischen Druck gegen andere Halbkolonien und auch imperialistische Gegner aufzubauen.

Der militärische Aspekt des Parasitismus hat sich seit Lenins Texten erheblich weiterentwickelt. Nach dem verlorenen Vietnamkrieg haben die USA mit der Nixon-Doktrin angefangen, die ökonomisch stärkeren Halbkolonien militärisch als regionale Stellvertreter der US-Interessen auftreten zu lassen.

Mit Fäulnis meint Lenin nicht, dass der Kapitalismus sich nicht mehr entwickelt, sondern dass er sich in Richtung seines Untergangs entwickelt.

So werden im Imperialismus die Produktionsverhältnisse zu einem Hemmnis der Produktivkraftentwicklung. Während im Kapitalismus der freien Konkurrenz die Kapitalisten gezwungen waren, technischen Fortschritt einzuführen, um in der Konkurrenz bestehen zu können, gibt es im Imperialismus Gründe, den technischen Fortschritt zu verhindern. Das heißt nicht, dass es überhaupt keine Produktivkraftentwicklung mehr gibt, sondern dass die Produktionsverhältnisse sie hemmen.

Exkurs zum moralischen Verschleiß der Maschine:

Im Kapitalismus verschleißen Maschinen nicht nur, weil sie so lange und intensiv benutzt werden, bis sie kaputt sind, sondern auch „moralisch“. Das bedeutet, dass die Maschine zwar noch funktioniert, also eben nicht verschlissen ist, aber aufgrund der gesellschaftlichen Produktivkraftentwicklung nicht mehr konkurrenzfähig ist. Stellen wir uns vor: In Fabrik A arbeitet ein Arbeiter mit der Maschine X1500 und produziert 50 Stück pro Stunde. In Fabrik B war das bisher genauso, aber dort wird jetzt die Maschine X3000 eingeführt und der dortige Arbeiter produziert jetzt 100 Stück pro Stunde. Daraus folgt bei gleichem Lohn (10 €), dass die Fabrik A doppelt so hohe Lohnkosten pro Stück hat (10 €/50 = 0,2 €) als die Fabrik B (10 € / 100=0,1 €). Das bedeutet, Fabrik A produziert nicht mehr konkurrenzfähig, wenn sich diese technische Neuerung verbreitet, und die Maschinen müssen ausgetauscht werden, obwohl sie noch gut funktionieren.

Das monopolistische Finanzkapital verfügt über gigantisches konstantes Kapital, also Kapital in Form von Produktionsmitteln. Die Fabriken würden moralisch verschleißen, wenn man technische Neuerungen einführen würde, und dadurch entwertet werden. Diese Entwertung schädigt das Interesse des Kapitals, und da es im monopolistischen Kapitalismus möglich ist, verzichten die Finanzkapitalisten auf diesen Verlust. Auch das Phänomen der geplanten Obsoleszenz ist so nur im Imperialismus möglich. In einer freien Konkurrenz würden die Produzenten von Gebrauchswerten mit Sollbruchstellen durch Konkurrenten, die hochwertigere Gebrauchswerte herstellen, verdrängt werden.

Die wichtigste Produktivkraft ist der Mensch, und der Imperialismus lässt die Menschen immer weiter degenerieren. Während der Kapitalismus der freien Konkurrenz und zu Beginn sogar noch der Imperialismus von steigender Lebenserwartung, sinkender Kindersterblichkeit bei hohen Geburtenraten, steigender allgemeiner Gesundheit, steigender Alphabetisierung, Blüte und Verallgemeinerung der Kultur geprägt waren, befinden sich all diese Dinge heute im Niedergang.

Das bedeutet nicht, dass es keinen technischen Fortschritt gibt. Das bedeutet, dass die Produktionsverhältnisse diesen Fortschritt hemmen.

Darüber hinaus wird der Überhang des fiktiven Kapitals über das industrielle Kapital immer größer. Dadurch ist die Kapitalistenklasse nicht mehr das, was Marx in Band 1 des Kapitals beschreibt, die Charaktermaske des Kapitals, sondern zerfällt in ausführende Manager und parasitäre Couponschneider. Die Couponschneider (früher konnte man von Wertpapieren Coupons abschneiden, die einen zum Beziehen der Dividende berechtigten) spielen im Produktionsprozess keine organisatorische Rolle, sondern schmarotzen nur noch an fremder Arbeit. Die größte ökonomische und politische Macht konzentriert sich bei nutzlosen Parasiten, deren gesellschaftliche Rolle nur noch darin besteht, sich verzweifelt an ihre Macht zu klammern.

Das parasitäre Verhältnis der imperialistischen Nationen zu den unterdrückten Nationen bringt auf beiden Seiten Momente der Fäulnis in der Kultur hervor. Der bürgerliche Individualismus nimmt immer dekadentere Formen an. Verweichlichung und Verrohung, Pädophilie, Frühsexualisierung und Selbstinfantilisierung, Epidemien psychischer Krankheiten, um sich greifende Drogensucht, esoterische und obskurantistische Wahnvorstellungen, historischer und existenzieller Pessimismus, Social Media und Bildungsverfall sind einige Ausdrücke dieser kulturellen Fäulnis.

 

Faulend heißt sterbend

Und der gesellschaftliche Fortschritt wird von der Bourgeoisie, so gut es geht, verhindert. Denn die Bourgeoisie ist nicht mehr revolutionär, sondern reaktionär. Dieser Versuch der Bourgeoisie, gesellschaftlichen Fortschritt wegzuherrschen, zersetzt und verfault die Gesellschaft. Die imperialistische Bourgeoisie steht in einem solch krassen Gegensatz zur Arbeiterklasse und dem Volk, dass sie den Konsens zu ihrer Herrschaft nicht mehr durch das Mittel der Vernunft, sondern nur noch durch organisierte Verwirrung, Theorien der Verzweiflung, kulturelle Degeneration und Terror herstellen kann.

Daher ist der Imperialismus auch sterbender Kapitalismus. Denn die Epoche der bürgerlich-demokratischen Weltrevolution ist vorbei. Die Epoche der proletarischen Weltrevolution hat begonnen. 1871 hat das Proletariat mit der Pariser Kommune das erste Mal nach der politischen Macht gegriffen. 1917 hat das Proletariat mit der Oktoberrevolution das erste Mal erfolgreich den bürgerlichen Staat zerschlagen und die Diktatur des Proletariats errichtet, um den Sozialismus in einem Land aufzubauen. Die Bourgeoisie ist somit von einer revolutionären zu einer reaktionären Klasse geworden, und das Proletariat ist die neue, revolutionäre Klasse, die das Volk in der proletarischen Revolution führt.

Somit kommen wir zu den Grundwidersprüchen, die die historische Entwicklung auf Weltebene im Zeitalter des Imperialismus vorantreiben.

Erstens gibt es den Widerspruch zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Die Bourgeoisie will Macht und Profit. Die Bourgeoisie will das Proletariat unterdrücken, um es ausbeuten zu können. Die Bourgeoisie hängt vom Proletariat ab, und nutzt die Abhängigkeit des Proletariats von der Bourgeoisie, um aus ihm so viel Profit wie möglich zu pressen. Das Proletariat will höheren Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, und seine Befreiung. Im Kapitalismus hängt das Proletariat von der Bourgeoisie ab, denn es braucht den Lohn, um sich die Produkte, die der Bourgeoisie gehören, zu kaufen. Der ökonomische Erfolg des Proletariats im Kapitalismus garantiert seinen Schaden. Diesen Widerspruch seiner eigenen Existenz kann das Proletariat bloß aufheben, wenn es sich von der Bourgeoisie befreit und dadurch die gesamte Menschheit befreit. Die Bourgeoisie will den Imperialismus erhalten. Das Proletariat will den Imperialismus abschaffen.

Zweitens gibt es den Widerspruch zwischen dem Imperialismus und den unterdrückten Nationen. Die imperialistischen Nationen sind im Zuge der ursprünglichen Akkumulation oder der Restauration des Kapitalismus in den sozialistischen Ländern entstanden. Sie verfügen über so viel ökonomische, politische und militärische Macht, dass sie dazu in der Lage sind, die Weltordnung zu gestalten und die Welt neu aufzuteilen. Die unterdrückten Nationen sind der Gegenstand dieser Weltordnung und Neuaufteilung. Sie haben das Interesse an nationaler Befreiung gegen die imperialistische Bourgeoisie und die Kompradorenbourgeoisie. Da die demokratische Revolution in den unterdrückten Nationen nicht zu Ende geführt wurde, sind sie Nationen in Formierung und die meisten halbfeudal. Da die imperialistische Bourgeoisie und die ihr untergeordnete Kompradorenbourgeoisie reaktionär sind, kann die demokratische Revolution nur unter der Führung des Proletariats durchgeführt werden. Die Parole „Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker der Welt, vereinigt euch!“ ist immer noch aktuell!

Drittens gibt es den Widerspruch zwischen den Imperialisten. Die Imperialisten kooperieren miteinander, wenn es ihrem Profit und ihrer Macht dient, und bekämpfen einander, wenn es ihrem Profit und ihrer Macht dient.

 

China und Russland – objektiv antiimperialistisch?

Bis hierhin gibt der Text ungefähr wieder, was in Leipzig vorgetragen wurde. Neben einigen Verständnisfragen gab es vor allem zwei Debatten. Die erste Debatte ging um die Rolle Russlands und Chinas in der Welt und die daraus folgende Bewertung des Ukrainekrieges und der Entwicklungen in der Sahelzone.

Zunächst ist noch einmal klarzustellen, dass das obige Zitat von Lenin nicht „imperialistische Länder“ definiert, sondern den Imperialismus als historisches Stadium des Kapitalismus definiert. Lenin nennt Russland und Japan damals schon imperialistisch und sagt, dass sie ihre ökonomische Schwäche durch die Größe des Territoriums bzw. militärische Macht ausgleichen. Unser Standpunkt ist, dass Russland nach der Konterrevolution durch Chruschtschow eine sozialimperialistische Macht war und seit dem Zusammenbruch des Revisionismus 1990 offen imperialistisch ist; und China ist seit der Konterrevolution von Deng sozialimperialistisch.

Die Ablehnung des imperialistischen Charakters Russlands und Chinas soll dazu taugen, die Kooperation der Bourgeoisie der unterdrückten Nationen mit Russland und China zu legitimieren, und mindestens perspektivisch auch eine Kooperation der Internationalen Kommunistischen Bewegung mit Russland und China zu legitimieren.

Die Kooperation mit einem überlegenen imperialistischen Partner macht die unterdrückte Nation und auch die kommunistische Bewegung zu einem hauptsächlich abhängigen, also untergeordneten Teil. Hinter dem vermeintlichen Realismus dieser Position steckt die Kapitulation vor der Aufgabe, das Proletariat wieder zu einer unabhängigen und mit Initiative kämpfenden Kraft auf Weltebene zu machen, und blanker bürgerlicher Nationalismus.

Damit einher geht die Behauptung, der Kampf der Volksmassen unter Führung des Proletariats gegen die Imperialisten sei unmöglich, womit sich ignorant gegen die Volkskriege und antikolonialen Befreiungskriege gestellt wird.

Der Widerspruch von Proletariat und Bourgeoisie weist über den Kapitalismus hinaus. Der Widerspruch zwischen Imperialismus und unterdrückten Nationen ist derart beschaffen, dass sich die unterdrückten Völker unter Führung des Proletariats für die proletarische Weltrevolution mobilisieren lassen, und das Proletariat kann unter bestimmten Bedingungen den Widerspruch zwischen den Imperialisten für sich nutzen. Die Stärkung der Rivalen des hegemonialen US-Imperialismus und die Unterordnung unterdrückter Nationen oder gar der Internationalen Kommunistischen Bewegung unter Russland und China weist überhaupt nicht über den Imperialismus hinaus, sondern manifestiert ihn.

Die Haltung von Kommunisten muss sein, es zu wagen zu kämpfen und zu siegen. Mit Theorien, die die Passivität des Proletariats und der unterdrückten Völker rechtfertigen und die Unterordnung unter den Imperialismus rechtfertigen, ist der revolutionären Praxis nicht im Geringsten gedient.

 

Winter is coming?

Die zweite Debatte drehte sich darum, ob die Verschärfung der Widersprüche nicht zur Apokalypse führe. Der Klimawandel, daraus folgende Migration und Eskalationen des imperialistischen Grenzregimes und ein drohender dritter Weltkrieg samt Atomschlägen stimmten einige Teilnehmende nicht gerade hoffnungsvoll. Es ist auch richtig, dass alles danach aussieht, als ob es erstmal auf der gesamten Welt erheblich schlechter wird für die Volksmassen. Doch wir sehen auch auf der ganzen Welt jetzt schon Rebellionen dagegen, und sogar in Deutschland sprießen überall rote Gruppen aus dem Boden, die ihren Beitrag zur sozialistischen Revolution leisten wollen.

Der Pessimismus betrachtet die Verschärfung der Widersprüche einseitig und blendet die Seite des Proletariats und der unterdrückten Völker aus.

Die Haltung der Kommunisten gegenüber dem sich verschlimmernden Schrecken der bürgerlichen Gesellschaft muss sein: Wir sind dagegen, aber wir fürchten uns nicht davor. Die Rebellion der Massen wird als proletarische Weltrevolution dem Schrecken der bürgerlichen Gesellschaft ein Ende bereiten. Aus dieser Haltung müssen wir zur Tat schreiten und unseren Beitrag dazu leisten, dass das möglichst bald geschieht.

Die proletarische Weltrevolution muss die Kräfte, die den Imperialismus erhalten wollen, zerstören und die Kräfte, die den Imperialismus zerstören wollen, aufbauen. Die proletarische Weltrevolution ist dem Inhalt nach international und der Form nach national und findet als proletarisch geführte neudemokratische Revolution und sozialistische Revolution statt. Um diesen Prozess besser zu verstehen, empfehlen wir die Lektüre von Lin Biaos Text „Es lebe der Sieg im Volkskrieg!“.

Im Verlauf des Abends wurde noch über verschiedene Momente der Fäulnis des Imperialismus diskutiert. Dabei ging es auch darum, dass die deutsche radikale Linke in der Hauptsache eine kleinbürgerliche Massenbasis hat und von Kleinbürgern geführt wird. Daraus folgen verschiedene Abweichungen vom Marxismus.

Die verschiedenen Zirkel praktizieren sowohl Opportunismus als auch Sektierertum. In einer gewissen Wahlkampflogik bzw. Vermarktungsstrategie versuchen sie, quantitative Erfolge bei der Mobilisierung und Rekrutierung des Kleinbürgertums für ihren Zirkel einzufahren, indem sie den Marxismus mit Elementen des falschen Bewusstseins des Kleinbürgertums verwässern. In opportunistischer Weise wird sich dem subjektiven Idealismus, der Philosophie des Kleinbürgertums angepasst und dieser mit dem Marxismus vermengt, und die politischen Losungen der linksliberalen Intelligenz werden übernommen. Die verschiedenen Versuche, den Postmodernismus mit dem Marxismus zu versöhnen, sind Ausdruck dieses Opportunismus. Daneben floriert das Sektierertum, weil all die Zirkel meinen, sie wären die eigentliche Avantgarde, und daher sei der Sache des Proletariats am besten gedient, wenn ihr Name überall draufsteht und ihr Dackelzüchterverein die meisten Mitglieder zählt. Das geht dann teilweise so weit, dass diese Vereinsspießer lieber Bewegungen spalten, als sich mit Kräften, die sie nicht kontrollieren können, auf Frontebene zu vereinigen. Daher auch die peinlichen Bilder auf deutschen Demos, wo jeder Dackelzüchterverein mit seinem Fähnlein herumläuft. Im Gegensatz zu einem Transpi ist das Vereinsfähnlein die inhaltslose Verkündigung der eigenen Anwesenheit – mehr nicht.

Damit den Marxismus zu verbreiten und als Kommunist das zu tun, was für die Gesamtbewegung das Beste ist, hat das alles ziemlich wenig zu tun.

Der Abend war gleichzeitig eine angenehme Abwechslung zu diesem Opportunismus und diesem Sektierertum. Genossen aus verschiedenen Organisationen und Strömungen der kommunistischen Bewegung haben versucht, einander zu verstehen, und mit dem Ziel, dass sich die richtige Linie durchsetze, miteinander gestritten.

 


1 Man könnte hierzu noch viel mehr schreiben, und das haben wir auch an anderer Stelle. Im Text „Der Imperialismus in seiner halbkolonialen Form“ gehen wir auf die Tendenz zum Monopol im industriellen und Bankkapital ein, und verweisen auf die einschlägigen Stellen im Kapital, die man lesen muss, um zu verstehen, wie Lenin Marx weiter entwickelt, indem er die historische Entwicklung analysiert.

2 Auch hierzu siehe unser Text und die dortigen Fußnoten.

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