Mit einer Mischung aus Amusement und Entsetzen nahmen wir die Reaktionen auf einen Beitrag1 der Gruppe Als Klasse Kämpfen zum Verbot von Muslim Interaktiv wahr. Anlässlich dieser Reaktionen sind einige offenbar überfällige Klarstellungen zur Meinungsfreiheit, Staatsgläubigkeit, und der richtigen Handhabung von Widersprüchen im Volke angebracht.2
Die Meinungsfreiheit ist ein Recht, das die Bourgeoisie sich selbst und dem Volk gewährt, um eine bürgerliche Öffentlichkeit zu gestalten, die dazu taugt, die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft derart zu handhaben, dass die ideologische Hegemonie der Bourgeoisie und der Konsens der Massen zu ihrer Herrschaft erhalten bleiben, und die inneren Widersprüche der Bourgeoisie friedlich ausgetragen werden können.
Dieses Recht erlaubt die unverbindliche Äußerung von Meinungen, von Unzufriedenheiten mit gesellschaftlichen Zuständen, die n i c h t auf einer praktischen Konsequenz beharren, sondern die Zuständigkeit der staatlichen Gewalt für die gesellschaftlichen Verhältnisse anerkennen. Wenn diese Anerkennung ausbleibt, dann wird das Recht regelmäßig entzogen und die staatliche Gewalt betätigt sich als unmittelbarer Zwang gegen die Leute, um sie daran zu erinnern, wer die Macht hat.
Dieses Recht stellt eine der zentralen Kampfbedingungen des Proletariats dar, da es dem Proletariat den ideologischen Klassenkampf erleichtert. Als Kampfbedingung ist die Meinungsfreiheit selbst fortlaufend umkämpft, da das Proletariat ein Interesse an ihrer Ausweitung und die Bourgeoisie ein Interesse an ihrer Einschränkung hat.
In den letzten Jahren wurde sowohl der legale als auch der moralische Rahmen für die freie Meinungsäußerung eingeschränkt. Während Corona waren nicht nur Demonstrationen verboten, sondern jeder Kritiker der Regierung wurde als verrückt, verschwörungstheoretisch und antisemitisch denunziert. Seit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine wurde jeder Kritiker der Regierung als Putin-Freund denunziert, und linke Medien wegen Spionage verfolgt. Seit dem siebten Oktober wurden etliche Demonstrationen angegriffen, und jeder Kritiker des Genozids wird aufgefordert, sich von der Hamas zu distanzieren. Die Tendenz ist sehr eindeutig.
Davon ausgehend haben die Genossen von Als Klasse Kämpfen das Verbot von Muslim Interaktiv kritisiert. Es stellt nämlich eine Einschränkung der Meinungsfreiheit dar, und seine Rechtfertigung lässt sich sehr leicht auch gegen linke, revolutionäre Gruppen wenden.
Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat heute den Verein „Muslim Interaktiv“ verboten, da er sich mit seinem Zweck und seiner Tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. […] „Muslim Interaktiv“ verstößt gegen den Gedanken der Völkerverständigung, indem der Verein das Existenzrecht Israels bestreitet.3
Es ist also eine politische Entwicklung, die dem Proletariat zum Schaden und nicht zum Nutzen reicht.
Diese Stellungnahme wurde von sich als links verstehenden Kräften und Individuen angegriffen. Es wurde als Parteinahme für die Inhalte von Muslim Interaktiv interpretiert. Es wurde behauptet, man würde Muslime metaphysisch als widerspruchslose Einheit betrachten. Es wurde behauptet, Kommunisten müssten gegen die Religion kämpfen, und das Verbot daher gutheißen.
Nichts davon ist wahr. Aber die Kommentarspalte unter dem Post ist ein sehr erhellender Offenbarungseid über den Zustand der deutschen Linken. All die PKK-Fans und Möchtegernkommunisten, die sich da tummeln, schrammen um Haaresbreite daran vorbei Antideutsche zu sein, und bekommen berechtigterweise Applaus aus der antideutschen Ecke. Denn in ihrem antimuslimischen Rassismus sind sie vereint.
Die Scheidelinie, die Revolutionäre einerseits und Möchtegernkommunisten und Antideutsche andererseits voneinander trennt, ist die Frage: Vertraust du den Massen oder dem Staat?
Es stimmt, dass Muslim Interaktiv eine Organisation ist, die eine korporatistische, also das Proletariat mit der Bourgeoisie versöhnende, eine das Proletariat und das Volk anhand religiöser Linien spaltende, und eine patriarchale Ideologie vertritt.
Es stimmt nicht, dass Als Klasse Kämpfen sich irgendwie mit dieser Ideologie versöhnt hätte. Es stimmt nicht, dass der Widerspruch zwischen Muslim Interaktiv und Kommunisten dem Widerspruch zwischen Nazis und Kommunisten gleichen würde. Es stimmt nicht, dass das Verbot von Muslim Interaktiv dem Proletariat nützen würde.
Die Genossen von Als Klasse Kämpfen haben sich explizit von der Ideologie von Muslim Interaktiv abgegrenzt, und jeder, der ihre Veröffentlichungen verfolgt, hat auch keinen Zweifel daran, dass sie sich mit dieser Ideologie nicht gemein machen. Es ist eine hanebüchene Verleumdung das Gegenteil zu behaupten und einer weiteren Erörterung unwürdig.
Warum stimmt es nicht, dass der Widerspruch zwischen Muslim Interaktiv und Kommunisten und der zwischen Nazis und Kommunisten gleich sind?
Muslim Interaktiv ist eine überwiegend aus migrantischen, teils bio-deutschen jungen Männern bestehende Organisation, die eine korporatistische und patriarchale Ideologie vertritt. Ihr politisches Ziel ist ein weltweites Kalifat, das ihre korporatistische und patriarchale Ideologie verwirklicht.
Im Unterschied zu Daesh ist ihr Bezug auf Ungläubige nicht der kleine Jihad, sondern Dawa, also die Einladung zum Islam. Wenn du denen erzählst, dass du Atheist bist, dann wollen sie dir nicht den Kopf abhacken, sondern dich mit vor-kantianischen Gottesbeweisen vom Islam überzeugen. Sie rufen also nicht zu reaktionärer Gewalt auf, sondern diskutieren respektvoll mit Menschen, die einen Dissens mit ihnen haben. Auch im Unterschied zu Daesh sind sie keine Takfiris, die von ihrer Weltanschauung abweichende Muslime töten wollen, sondern sind sehr vorsichtig damit, Muslime aus der Umma auszuschließen, weil ihr politischer Zweck gerade ist, möglichst viele Muslime zu vereinen. Wenn du ihnen also erzählst, dass du Shiit bist, dann ist ihnen das einfach egal.
Im Unterschied zu Nazis passt ein biologisch-esssentialistischer Rassismus nicht zu ihrer Ideologie, da der Fokus auf Dawa sich an alle Menschen richtet, und das Verständnis der Umma als Gemeinschaft der Gleichen (bei patriarchaler Ungleichheit) rassistische Diskriminierung ausschließt.
Der größte und wichtigste Unterschied zwischen Muslim Interaktiv und Nazis im Klassenkampf in Deutschland ist allerdings: Die Weltanschauung von Muslim Interaktiv wird niemals für die deutsche Bourgeoisie als Grundlage ihrer Herrschaft infrage kommen. Das Szenario, das Michelle Houellebecq in seinem Werk Unterwerfung zeichnet, in dem die europäische Bourgeoisie den Islam als neuen Mythos für ihre ideologische Hegemonie nutzt, ist unrealistisch. Weniger als 10% der Bevölkerung in Deutschland sind Muslime, die meisten von denen haben eine andere Interpretation des Islam als Muslim Interaktiv. Die Frauen in Deutschland würden Sturm laufen, wenn die Bourgeoisie eine solche Eskalation des Patriarchats in Deutschland versuchen würde. Der Kampf für ein globales Kalifat hat in Deutschland schlichtweg überhaupt keine Aussicht auf Erfolg, und die deutsche Bourgeoisie weiß das auch.
Nazis hingegen sind die präventive Konterrevolution der Bourgeoisie, die in der Demokratie schon für Terror gegen das Volk benutzt wird, und den Keim der Massenbasis stellt, wenn die Bourgeoisie den Faschismus braucht. Deswegen dürfen Nazis in Deutschland Waffenlager haben, und werden vom Geheimdienst vor Hausdurchsuchungen und Festnahmen gewarnt, werden finanziert und bewaffnet, und bekommen gefälschte Papiere, um aus dem Untergrund heraus Migranten zu ermorden, und vertreiben ungestraft Kinderpornografie und Drogen, um ihre Arbeit zu finanzieren. Muslim Interaktiv hingegen wird verboten, obwohl sie nichts anderes machen als eine abweichende Meinung zu verbreiten.
Der Widerspruch zwischen Kommunisten und organisierten Nazis ist ein antagonistischer Widerspruch, ein Widerspruch zwischen Volk und Feind, der sich notwendig regelmäßig in Gewalt äußert, weil die Nazis als von der Bourgeoisie gepflegte präventive Konterrevolution Terror gegen das Volk als normales Mittel für ihre Politik benutzen.
Muslim Interaktiv diskutiert mit Kommunisten vor dem Kiosk, während man eine Limonade trinkt, darüber, ob aus dem Kausalitätsprinzip vernünftig die Notwendigkeit einer ersten Ursache und die Existenz Gottes ableitbar sind, was der Unterschied zwischen Terror gegen das Volk und Terror gegen den Feind ist, und warum Korporatismus die Probleme des Kapitalismus nicht lösen kann. Potenziell ist der Widerspruch zwischen Muslim Interaktiv und Kommunisten antagonistisch. Aber wenn man den Widerspruch zu Muslim Interaktiv mit nicht antagonistischen Mitteln, zum Beispiel mit respektvoller Diskussion, handhabt, dann kann das ein Widerspruch innerhalb des Volkes bleiben. Wenn man das tut, dann kann man die Massen, die sich bei Muslim Interaktiv organisiert haben für die Revolution gewinnen, oder man drängt sie wenigstens nicht auf die Seite der Konterrevolution.
Wenn man dem Rat des Möchtegernkommunisten folgt, und diese Teile der Massen wegen ihrer Führung und Ideologie als Feinde behandelt, dann macht man sie auch zu Feinden. Der ideologische Dissens wird zur politischen Feindschaft, weil die Kommunisten ihn falsch handhaben! Der „respektvolle“ Umgang, den die Genossen von Als Klasse Kämpfen schildern, ist eine sehr wichtige politische Information, die aufzeigt, dass es den Genossen gelungen ist, diesen potenziell antagonistischen Widerspruch nicht-antagonistisch zu handhaben.
Die Verlogenheit der Kommentatoren, die gegen Als Klasse Kämpfen und die Meinungsfreiheit ins Feld gezogen sind, besteht darin, dass sie behaupten, ihr Interesse wäre die proletarische Revolution. Sie haben aber gar kein Vertrauen darin, dass die Massen die Geschichte machen, dass die Ideologie zur materiellen Gewalt wird, indem sie die Massen ergreift, und dadurch der Staat zerschlagen wird. Sie halten sich zwar für die Avantgarde, trauen den Massen aber gar nicht zu, Einsicht in die Fehlerhaftigkeit der bürgerlichen Ideologie und in die Richtigkeit der proletarischen Ideologie zu haben, und der Avantgarde zu folgen. Sie haben kein Vertrauen in die Massen, dafür haben sie großes Vertrauen in den bürgerlichen Staat und sehnen sich alle möglichen Verbote durch diesen herbei, weil sie an der eigenen Schwäche und selbst verschuldeten Unfähigkeit, ideologischen Kampf innerhalb des Volkes zu führen, verzweifeln, und auf die etablierte Macht der Bourgeoisie setzen, um ihr Leben als zaghafte Klassenkämpfer zu erleichtern.
Aber genauso wie die Muslime wissen die Kommunisten, dass in der Erschwernis die Erleichterung liegt, und dass es der Shaytan ist, der sagt: „Heute soll euch kein Mensch besiegen, denn ich bin euch ein Beschützer.“ Wenn man vor der großen und schweren Aufgabe, die ideologische Führung der Massen zu erkämpfen, kapituliert, und das Vertrauen in die Massen verliert, darüber verzweifelt und sich Hilfe suchend an den mächtigen Staat wendet, dann steht man schon mit einem Bein in den übelsten revisionistischen Ideologien wie der Ideologie der Antideutschen.
Wenn man sich mit Hingabe der Aufgabe, die Massen für den Marxismus zu begeistern, widmet und in dieser schweren Aufgabe seine Erleichterung findet, dann wird man niemals Revisionist.
Die Auseinandersetzung mit dem falschen Bewusstsein der Massen ist notwendige Voraussetzung für dessen Kritik und die Überzeugung der Massen vom Marxismus. Aber was die Antideutschen und teilweise auch die Antinationalen und „Marxisten-Leninisten“ tun, ist, ihre eigene Verachtung für die Massen zu rechtfertigen, indem man ihnen lauter falsche Denkinhalte nachsagt, um über die Differenz zum Marxismus dann nachzuweisen, dass sie Feinde wären. Eine Differenzierung zwischen Gruppen wie Muslim Interaktiv oder Daesh wie sie oben stattgefunden hat, oder eine Differenzierung zwischen Führern und Geführten erspart man sich dann, weil es nicht um eine konkrete Analyse und Synthese für eine korrekte Praxis geht, sondern um ein Feindbild. Und wenn man erstmal die Massen verachtet, und hilflos und verzweifelt vor einer unlösbaren Aufgabe steht, dann sucht man den Messias und findet ihn im bürgerlichen Staat.
Aus der Tendenz zur allgemeinen Verachtung der Massen folgt dann auch, dass einige Kommentatoren nicht nur gegen Muslim Interaktiv, sondern gegen Muslime im Allgemeinen kämpfen wollen, diesen Kampf gar als Gebot der marxistischen Religionskritik ausgeben wollen.
Es ist völliger Schwachsinn, aus der Kritik von Marx und Engels am protestantischen und katholischen Christentum im Deutschland des 19. Jahrhunderts oder der Kritik von Lenin und Stalin am orthodoxen Christentum im Russland des frühen 20. Jahrhunderts ableiten zu wollen, wie der abstrakte philosophische Dissens zwischen dialektischen Materialisten einerseits und Juden, Christen oder Muslimen andererseits heute in Deutschland politisch zu handhaben ist. Diese ganzen hochtrabenden Buchgelehrten, die die Massenarbeit jenseits ihrer Subkulturen und Sekten so sehr scheuen wie der Teufel das Weihwasser, sollen mal erklären, wieso welche Handhabung damals angemessen war, und wie daraus heute eine Parteinahme für eine staatliche Einschränkung der Meinungsfreiheit oder auch nur eine Priorisierung des ideologischen Kampfes gegen den Glauben an die Existenz Gottes folgt. Diese Leute glauben ernsthaft, dass sie mit atheistischen Linksliberalen mehr gemeinsam haben als mit muslimischen Antiimperialisten. Solange dieser Blödsinn nicht wenigstens argumentiert daherkommt, ist er uns keine weitere Erörterung wert.
Nicht unbemerkt sollte bleiben, dass gerade Leute, die von der PKK ideologisch beeinflusst werden, bei dieser seltsamen Feindseligkeit gegenüber Muslimen ganz vorne mit dabei sind. Die metaphysische Betrachtung der muslimischen, arabischen, türkischen und iranischen Massen, die gemeinsam mit den Kurden von den jeweiligen Staaten unterdrückt werden, aber von diesen gegenüber den Kurden bevorzugt werden, taugt dort als Rechtfertigung des Separatismus und bürgerlichen Nationalismus, und zur Negation des Marxismus. Hier taugt es als Rechtfertigung der Versöhnung mit dem antimuslimischen Rassismus und dem bürgerlichen Staat und zur Negation des Marxismus.
Die deutsche Linke ist ein staatsgläubiger, die Massen verachtender Haufen von Proto-Antideutschen und man kann den Genossen von Als Klasse Kämpfen nur dankbar dafür sein, dass sie den ganzen rotlackierten Staats-Fans die Bühne bereitet haben, um sich selbst zu entlarven.
1 Link: https://www.instagram.com/alsklasse
2 Wer den Text von Mao Tse Tung nicht kennt, sollte ihn lesen: Mao Tse Tung: Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volke.
