Die Letzte Generation – radikale Konsumkritik gemischt mit revolutionärer Bereitschaft

Der letzten Generation ist etwas aufgefallen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen kapitalistischem Reichtum und der Zerstörung der Umwelt. Deshalb haben sie beschlossen, neue Wege einzuschlagen und mit ihren Aktionen den Feind dort zu treffen, wo er sich wohlfühlt: im Privatjet, im Luxushotel, auf der Nordseeinsel Sylt. An der Wahl ihre Ziele lässt sich allerdings auch schon ein Mangel ihrer Analyse erkennen. An den Reichen, die sie dort angreifen, kritisieren sie vor allem eines: ihren Konsum, die Dekadenz, der diese in ihrer Freizeit frönen. Das sagen sie auch offen, wenn sie in ihrem „Sommerplan 2023“ schreiben: „Die Klimakatastrophe kommt nicht einfach so. Sie wird gemacht – und zwar in erster Linie von den Reichen. Deshalb werden wir in den nächsten Wochen an die Symbole des modernen Reichtums gehen, die nationale Aufmerksamkeit auf die rücksichtslose Verschwendung der Reichen lenken und die Ungerechtigkeit sichtbar werden lassen.“

Leider schießen sie damit an der Sache vorbei. Wenn sie korrekterweise feststellen, dass die Erde sich bereits um 1,2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter erwärmt hat, dann ist darin schon der Grund für die Erwärmung benannt, wenn auch noch nicht hinreichend erklärt. Die Entwicklung der Industrie ist maßgebliche Ursache der gestiegenen Treibhausgas-Emissionen. Und der Motor dieser Entwicklung liegt nicht begründet in den Konsumvorlieben der Reichen, sondern im maßlosen Zweck der Unternehmen, deren Eigentümer sie sind, Gewinn zu machen, den sie gegeneinander verfolgen.

Inhalt der Konkurrenz der Unternehmen ist ihr Bestreben, die von ihnen hergestellten Waren gewinnbringend zu verkaufen, und zwar so viele wie möglich. Wenn das eine Unternehmen sein Produkt an jemanden erfolgreich verkauft, tut das andere es nicht. Zusätzlich konkurrieren alle Unternehmen um die begrenzte zahlungsfähige Nachfrage der Gesellschaft im Allgemeinen. Um nun mehr von dieser Zahlungsfähigkeit für sich abzugreifen, versuchen sie die Kosten der Produktion zu senken.

Das können sie vor allem, indem sie ihre Ausgaben für die Bezahlung von Arbeitskräften relativ zu den erzeugten Produkten reduzieren. Das tun sie durch die Anschaffung neuer Maschinen, die es den Arbeitern ermöglichen mehr Produkte in der gleichen, oder in weniger Zeit herzustellen, als vorher. Dadurch reduzieren sie die in dem einzelnen Produkt enthaltene bezahlte Arbeit, senken die Lohnstückkosten, und können dank dessen entweder im Verhältnis zum Marktpreis eine höhere Gewinnspanne erzielen, oder ihre Produkte billiger verkaufen als ihre Konkurrenten und sich so ihre Marktanteile sichern. Solange, bis diese nachziehen und ihre Produktion auf den neuesten Stand der Technik bringen. Dann geht das Spiel von vorne los. (Dabei weiten sie die Produktion immer weiter aus). Das ist das Geheimnis des unaufhaltsamen technischen Fortschritts des „Industriezeitalters“, die Ursache der viel gepriesenen Innovation des Kapitalismus und Ausdruck seines einzigen Zweckes: maßloses Wachstum.

Dafür wird viel Energie benötigt. Sie fließt in jeden Produktionsprozess ein. Sie wird ständig und wie wir gesehen haben in stetig steigendem Maße vom Kapital bei der Herstellung von Waren produktiv konsumiert. Damit dabei das größtmögliche Wachstum zustande kommt, benötigt das Kapital kontrollierbare, transportable, ständig verfügbare und kostengünstige Energieträger. Deshalb waren und sind fossile Rohstoffe, insbesondere Erdöl und Erdgas, immer noch die beste Wahl.

Zudem lohnt sich die Investition in neue Produktionsmittel nur, wenn die eingesparten Lohnkosten während der zu erwartenden Lebensdauer der Maschinen den Preis für ihre Anschaffung überwiegen. Weil jede Ausgabe unmittelbar ein Abtrag vom Profit des Unternehmens ist, werden solche, die nicht unbedingt notwendig sind, nicht getätigt. Dazu gehören dann auch sämtliche kostspieligen Maßnahmen, die erforderlich wären, damit die Umwelt bei der ständigen Erneuerung von Produktionsmitteln und damit einhergehenden Ausweitung der Produktion nicht vergiftet und verpestet wird. Dieselbe Kalkulation stellt das Kapital natürlich nicht nur bei der unmittelbaren Produktion, sondern auch bei der Förderung der natürlichen Ressourcen und beim Transport an.

Insofern wäre der Vorwurf der „rücksichtslosen Verschwendung“ korrekt. Es ist eine immense Verschwendung von Arbeitskraft, Produktionsmitteln und Rohstoffen, die durch die Konkurrenz der Kapitale in ihrem rücksichtslosen Bestreben nach größtmöglichem Absatz, vorangetrieben wird; im Interesse ihrer Eigentümer, die sich davon nebenbei ihren Lebensstil leisten. So ist dieser aber nur eine Fußnote, eine dekadente und parasitäre allerdings, aber nur eine Fußnote ihrer beruflichen Tätigkeit. Eine Tätigkeit, die sich völlig ignorant zu ihren eigenen Bedingungen, Mensch und Natur, stellt, weil ihr einziger Zweck der unmittelbare und größtmögliche Profit ist.

Und dieser Zweck wird anscheinend vom Staat geduldet, wie die Letzte Generation im nächsten Satz ihres „Sommerplans“ enttäuscht feststellt (auch wenn sie damit etwas anderes meinen als wir, wie wir bereits oben erklärt haben): „Momentan hält die Regierung den Reichen noch den Rücken frei. Sie lässt zu, dass die Reichsten tausendmal so viele Emissionen verursachen wie der Durchschnitt. Das lassen wir ihr nicht durchgehen.“ Zwar denken sie dabei immer noch an Porsche-fahren, statt Porsche-bauen, aber wir sind ja bereits einen Schritt weiter und können deshalb darauf zu sprechen kommen, warum der Staat kein Interesse hat, diesem Treiben ein Ende zu setzen.

Erstens ist die Macht eines bürgerlichen Staats von der erfolgreichen Akkumulation seines nationalen Kapitals abhängig, d.h. von den Profiten seiner Bourgeoisie, weshalb er dieser nicht nur den „Rücken frei hält“, sondern sie auch mittelbar und unmittelbar fördert (was u.a. die Erschließung von ausländischen Rohstoffquellen mit „friedlichen“ oder kriegerischen Mitteln beinhaltet, aber auch die Subvention der Entwicklung von „grüner Energie“, um den eigenen Standort unabhängiger von konkurrierenden Staaten zu machen).

Zweitens ist die Regierung weder die für ein höheres Gut gewählte Körperschaft, mit der Verantwortung für „unsere Gesellschaft“, noch (wie manche Linke behaupten) die unpersönliche Herrschaft von Charaktermasken, die reine Funktionäre ihres Amtes sind, sondern aufgrund ihrer Funktion im Produktionsverhältnis, selbst Teil der herrschenden Klasse. Sie besteht aus Individuen, die materiell davon profitieren, die partikularen und allgemeinen Interessen ihrer Klasse politisch zu vertreten – also national und international durchzusetzen.

Deshalb sind die Forderungen der Letzen Generation an „die Politik“, sowie die Wahl ihrer Kampfmittel leider so sinnlos, wie ineffektiv. Ein Tempolimit auf Autobahnen steht in überhaupt keinem Verhältnis zum Ausmaß und wahren Grund der nachhaltigen Umweltzerstörung, die jeden Tag vom Kapital ausgeht. Und die Forderung nach einem Gesellschaftsrat, der eine Ergänzung zur bürgerlichen Demokratie darstellen soll, macht sich überhaupt keinen Gedanken darüber, wieso es gerade die bürgerliche Demokratie ist, die die kritisierten Zustände hier in Kraft setzt und erhält. Lediglich die Forderung nach einem dauerhaften 9-Euro-Ticket ist vernünftig. Auch wegen der Umwelt, vor allem aber, weil seine (Wieder)-Einführung eine unmittelbare Entlastung großer Teile des Volkes bedeuten würde.

Dass sie aber tatsächlich glauben, diesen Staat durch „zivilen Ungehorsam“ nötigen zu können, einer „Aufgabe“ nachzukommen, die seinen fundamentalen Interessen widerspricht, zeigt, dass sie aus der falschen Analyse der Gesellschaft, die falschen Schlüsse über ihre Veränderung gezogen haben. Will man Ernst machen mit der Forderung nach einer Welt, in der Mensch und Natur nicht bloß Mittel sind, die vernutzt und verschmutzt werden, um den Reichtum einer schmarotzenden Klasse zu vermehren, muss man die Abschaffung dieser Klasse und ihrer politischen Herrschaft fordern: die sozialistische Revolution. Und diese fordert man nicht von den Herrschenden, sondern von den Teilen der Gesellschaft, die unter ihrer Unterdrückung und Ausbeutung am meisten leiden: der Arbeiterklasse. Dazu muss man zu dieser Klasse gehen und ihre Tageskämpfe im Dienst am Kampf um die Macht entwickeln, das heißt Erfolge erkämpfen, in dem man den Staat dazu zwingt, einem Zugeständnisse zu machen, in dem klaren Bewusstsein, dass er der Feind ist. Diese Auseinandersetzung ist eine antagonistische, weshalb es dafür genau die Bereitschaft, Ausdauer und Disziplin braucht, die die Mitglieder der letzten Generation schon heute an den Tag legen.