­Die konkret erinnert die Leser an ihren Katechismus

In der konkret 11/2025 sind gleich zwei Artikel, in denen gegen den „Klassenkampf-Marxismus“ geschossen wird. Als Objekt der Kritik, als Klassenkampf-Marxist, mag man hoffen, man würde diese Artikel lesen, und danach verstehen, worin der inhaltliche Dissens zwischen dem Marxismus und der Sorte Revisionismus, wie er in der konkret verbreitet werden darf, besteht. Die Enttäuschung dieser Hoffnung ist der Anlass dieses Textes.


Roswitha Scholz’ Selbstvergewisserung

Nachdem Robert Kurz, erster Prophet der Wertkritiker, starb, war es die Nachfolgerin Roswitha, der die Wertkritiker anheimfielen. Roswitha Scholz darf in der konkret 11/2025 ihr neues Buch bewerben, doch hauptsächlich wird ihr Interview mit dem Titel „Sexismus wird wieder zum Nebenwiderspruch erklärt“ erklärt von dem Zweck bestimmt, sich selbst und die eigene Sekte darin zu vergewissern, dass sie die Guten sind, die wahren Marxisten, oder zumindest die kritischsten Marxisten.

Auf zwei Seiten reißt sie lauter Themen an, und gibt kein einziges ausformuliertes Argument, aber dafür lauter Stichworte, die demjenigen, der schon weiß, was er denken soll, etwas bedeuten, und dazu mahnen, eben das weiterzudenken. Die zerfallenden Sekten versuchen ihren Zerfallsprozess aufzuhalten, indem sie ein Feindbild malen, um darüber neue Einheit zu gewinnen.

Was ist denn das Problem mit dem Klassenbegriff?
Das Problem mit dem Klassenkampfbegriff ist, dass er heute gar nicht mehr greift. Der Klassenbegriff, wie er bei Marx noch zu finden ist, kann die aktuellen Verhältnisse nicht mehr treffend beschreiben, denn die Gesellschaft hat sich von einer Indiustriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft mit einer breiten Mittelschicht entwickelt. Die zentrale Ursache für die Regression liegt hier: In der Angst der Mittelschichten vor dem sozialen Abstieg. Marx spricht in diesem Zusammenhang vom prozessierenden Widerspruch: Im Zuge der Produktivkraftentwicklung werden immer mehr Arbeiten wegrationalisiert bei gleichzeitig steigendem Produktionsausstoß. Zentral ist dabei, dass die abstrakte Arbeit nichts Ontologisches ist, sondern ein historisches Produkt des Kapitalismus und des Patriarchats, das in Frage gestellt werden muss. Daher kann auch der Arbeiter nicht mehr der sein, an den man einfach appelliert.
(Interview „Sexismus wird wieder zum Nebenwiderspruch erklärt“ in: konkret 11/2025 S. 18.)

Normalerweise versuchen Wertkritiker beim studentischen Publikum Eindruck zu schinden, indem sie sich unverständlich ausdrücken, und den obrigkeitshörigen Studenten glauben machen, dass sich hinter den unverstandenen Phrasen eine tiefgründige, geheime Wahrheit verberge, zu der man nur Zugang gewinnen könne, indem man sich in Lesekreisen dem rituellen Studium heiliger Texte widmet, die esoterische Liturgiesprache erlernt, und die zugrundeliegenden Dogmen anerkennt.

Hier versucht Roswitha Scholz wohl auf nicht allzu viel Platz möglichst viel Inhalt unterzubringen und die bürgerliche Ideologie lässt die revisionistischen Hüllen fallen. Der Vorwurf, dass der Klassenbegriff unzeitgemäß wäre, weil wir in einer Dienstleistungsgesellschaft mit einer breiten Mittelschicht leben würden, ist einfach bei Schelskys „nivellierter Mittelstandsgesellschaft“ abgeschrieben. Diese Behauptung beruht auf dem plattesten und falschesten Verständnis des marxschen Kapitals, nämlich auf der Gleichsetzung der konkreten Arbeit mit der abstrakten Arbeit, und auf der Gleichsetzung des besonderen Industrieproletariats mit dem Proletariat im Allgemeinen. Von der Veränderung auf der Erscheinungsebene, nämlich welche konkrete Arbeit in der Hauptsache in einer gegebenen Gesellschaft getan wird, wird auf das Wesen der Gesellschaft geschlossen.

Lenin bestimmt den Begriff der Klasse in Anschluss an Marx:

Als Klassen bezeichnet man große Menschengruppen, die sich voneinander unterscheiden nach ihrem Platz in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaft­lichen Produktion, nach ihrem […] Verhältnis zu den Produktionsmitteln, nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folglich nach der Art der Erlangung und der Größe des Anteils am gesellschaftlichen Reichtum, über den sie verfügen. Klassen sind Gruppen von Menschen, von denen die eine sich die Arbeit einer andern aneignen kann infolge der Ver­schiedenheit ihres Platzes in einem bestimmten System der gesellschaft­lichen Wirtschaft.
(Lenin, W.I.: Die große Initiative, in LW 29, S. 410.)

Die konkrete Arbeit bestimmt die Klassenlage also dahingehend, dass sich durch sie die Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit bestimmt. Darüber redet die Scholz aber nicht.

Ein Proletarier ist ein doppelt freier Lohnarbeiter. Er ist juristisch frei, und frei von Produktionsmitteln. Daher frei und gezwungen, seine Arbeitskraft zu verkaufen, und abhängig von einem ihm feindlichen Interesse, nämlich dem Zweck des Kapitals, sich zu verwerten, indem es seine Arbeitskraft ausbeutet. Ob er dabei am Fließband Autos zusammenschraubt (industrieller Sektor der Statistik) oder in der Werkstatt Autos repariert (tertiärer oder Dienstleistungssektor der Statistik), ist für den Klassenbegriff egal. Die abstrakte Arbeit, die Verausgabung von Hirn, Muskel und Nerv, wird sich vom Kapital angeeignet, und durch den erfolgreichen Verkauf der Ware oder Dienstleistung realisiert. Es ist völlig egal, in welcher konkreten Arbeit diese abstrakte Arbeit erscheint, sofern sich durch die Veränderung der Arbeit nicht die Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit ändert.

Die breite Mittelschicht ist auch der Versuch, den Klassenbegriff mit der Erscheinungsebene totzuschlagen. Unbegriffen und konkretistisch wird ein Phänomen benannt, um einen Begriff anzugreifen. Witzig und aus Versehen ehrlich ist, dass die Scholz dem Klassenbegriff vorwirft, die aktuellen Verhältnisse nicht richtig zu beschreiben. Beschreiben tut der Klassenbegriff nämlich gar nichts, sondern die konkrete Beschreibung begreifen soll ein Begriff! Die Mittelschicht ist eine Beschreibung, die auf die Höhe des Einkommens abstellt. Der Klasse nach zerfällt die Mittelschicht aber in Kleinbürgertum, die höheren Schichten des Proletariats und die niederen Schichten der Arbeiteraristokratie, sowie die Intelligenz. In ihrer Negation des Klassenbegriffs und des Klassenkampfes mit dem relativen sozialen Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg als Beleg ist sie genauso nah am Begriff der Volksgemeinschaft dran wie ihr Stichwortgeber Schelsky.

Es hilft auch nichts, dass sie danach vom prozessierenden Widerspruch spricht und Marx erwähnt. Denn im Unterschied zu Marx’ Behandlung des Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate im dritten Band des Kapitals, streicht sie in metaphysischer Manier alle dazu im Widerspruch stehenden Tendenzen durch.1 Doch selbst, wenn man dabei mitgeht, dann negiert der tendenzielle Fall der Profitrate nicht den Klassenbegriff und die Ausbeutung des Proletariats durch die Kapitalistenklasse. Scholz spricht selbst an, dass „Arbeiten wegrationalisiert“ werden. Es steigt die Produktivkraft der Arbeit, und die wird von der Arbeiterklasse gemacht. Währenddessen steigen der produzierte Reichtum und die Armut der Arbeiterklasse. Das ist ein Grund zur Rebellion für die Arbeiterklasse. Davon will sie aber nichts wissen. Sie will dieses gesellschaftliche, praktische Problem als begriffliches, theoretisches behandeln und das Subjekt durchstreichen.

Denn sie meint, man solle nicht an die Arbeiterklasse appellieren, oder man könne nicht einfach an die Arbeiterklasse appellieren, weil das voraussetze, dass man die abstrakte Arbeit ontologisiere. Etwas ontologisieren bedeutet, dass man es nicht als historisch gewordenes begreift, sondern als ewige, überhistorische Bestimmung des Seins setzt. Es gibt bei Stalin und in der Tradition des Chruschtschow-Revisionismus eine gewisse Tendenz dazu, das Wertgesetz des Kapitalismus als ewiges Gesetz zu verstehen. Das hat mit Marx, Lenin und Mao Tse Tung allerdings nichts zu tun. Und es hat auch nichts damit zu tun, dass die Arbeiterklasse das revolutionäre Subjekt ist, weil sie in dieser Gesellschaft durch Ausbeutung und Unterdrückung ein objektives Interesse an der Aufhebung dieser Gesellschaft hat, und somit der über diese Gesellschaft hinausweisende Teil der Gesellschaft ist.

Dann sagt sie in Anlehnung an Adorno, dass das Proletariat im Zuge seiner Selbsterhaltung ein Lurch werde, der seine Existenz nicht mehr infrage stelle und sich mit den Verhältnissen gleichmache:

Das ist ja gerade der Gag. Bekanntlich ist ja auch das Proletariat ins Faschistische gekippt, schon in den dreißiger Jahren. Dieses ganze Konzept von der Klasse an und für sich von Marx hat sich total blamiert. Und es blamiert sich auch heute. Man könnte sich auf die Frankfurter Schule besinnen, wo in der Dialektik der Aufklärung steht, dass der Mensch im Zuge der Selbsterhaltung zum Lurch wird. Also dass er zum Reizreaktionswesen wird, das seine Existenz nicht mehr in Frage stellt und sich mit den Verhältnissen gleichmacht.
(Interview „Sexismus wird wieder zum Nebenwiderspruch erklärt“ in: konkret 11/2025 S. 18. )

Diese Frau beleidigt die Massen als Amphibien, und entmenschlicht sie, um damit implizit sich selbst und den anderen Schmocks, die es an der Uni zu nichts gebracht haben, und daher ihren Selbstwert daraus ziehen, rituell Bücher zu lesen, die sie nicht verstehen, auf die Schulter zu klopfen, denn sie sind zwar abgehalfterte Gestalten, die nicht mal ein IKEA-Regal zusammenbauen können, aber die anderen, von denen sie im Sportunterricht immer zuletzt gewählt wurden, die sind nämlich Lurche! Und diese Beleidigung ist dann aber kritisch und in Ordnung, weil sie eigentlich eine Metapher für die eigene neunmalkluge Theorie ist, die nämlich besagt, dass nicht man selbst verantwortlich ist, wenn man die Massen nicht mobilisieren, politisieren und organisieren kann, sondern die bösen Proleten machen sich lurchig mit den Verhältnissen gleich, und stellen ihre eigene Existenz nicht infrage, und daher kann man denen gar nichts erklären. Irgendwie kommen diese Adorniten immer mit dem Argument daher, dass die Massen sich mit den Verhältnissen versöhnen würden, und versöhnen sich dann darüber selbst mit den Verhältnissen, ganz so, als wäre das mit den Massen keine Analyse der Wirklichkeit, sondern bloß eine Rechtfertigung der eigenen widerlichen Feigheit, die man kaschieren muss, nicht nur, um noch in den Spiegel gucken zu können, sondern um sich obendrein in der eigenen Kapitulation vor der Revolution und Versöhnung mit den Verhältnissen noch überlegen zu fühlen. Lumpenpack.

Dann wird Scholz gefragt, was denn das Problem mit der marxistisch-feministischen Analyse sei. Scholz führt dann Lise Vogel an, was ja gut ist. Zu Lise Vogel weiß Scholz aber nur zu sagen, dass Lise Vogel nicht das tut, was Scholz tut. Das leuchtet nur Leuten ein, die meinen, man sollte eigentlich das tun, was Scholz tut. Wenn man das nicht meint, ist dieses „Argument“ leider recht unbeeindruckend. Mit etwas Glück regt sie Leute an, Lise Vogel zu lesen.

Der einzige Absatz, der etwas mit der Überschrift des Interviews zu tun hat, soll hier natürlich auch zitiert werden:

Gehört zur linken Regression auch, dass man glaubt sich für Sexismus, Rassismus et cetera nicht mehr interessieren zu müssen?
In der Gegenüberstellung von Klassen- und Identitätspolitik schwingt ein Affekt gegen die Wokeness mit. Den verkörpert zum Beispiel das BSW. Etwas anderes ist der Versuch, den »Z«, die Zeitschrift für marxistische Erneuerung, macht, das Problem der Intersektionalität über die Klassenkampfschiene zu erklären und zu lösen. Da finden sich keine plumpen Sexismen, aber da werden Rassismus und Sexismus und so weiter wieder zu Nebenwidersprüchen erklärt. Sexismus findet also nicht direkt statt, ist aber schon angelegt.
(Interview „Sexismus wird wieder zum Nebenwiderspruch erklärt“ in: konkret 11/2025 S. 18.)

Da schwingt kein Affekt gegen Wokeness mit. Der Marxismus und die bürgerliche Identitätspolitik stehen sich unversöhnlich gegenüber und lassen sich nicht vereinen. Marxisten sind gegen woken Moralismus.

Der Punkt, dass das Patriarchat und Rassismus zu Nebenwidersprüchen erklärt würden, wird gar nicht argumentiert. Es funktioniert rein darüber, dass das Publikum schon wissen wird, dass man das so nicht denken darf. Bei Nebenwiderspruchsdenken soll man den Strohmann assoziieren, dass Marxisten das Patriarchat nicht so wichtig nehmen würden, und glauben würden, dass sich das Patriarchat von selbst erledige, wenn man den bürgerlichen Staat zerschlagen habe. Dieser Strohmann mag in der freien Wildbahn verrauchter Szenekneipen nach dem fünften Bier durchaus mal real vorkommen, aber in der Hauptsache ist er ein Mythos, der in den Köpfen derjenigen existiert, die nicht wissen, was ein Haupt- und was ein Nebenwiderspruch ist.

In einem komplizierten Prozess gibt es einen Hauptwiderspruch, der die Entwicklung des Prozesses hauptsächlich bestimmt, und von dem alle anderen Widersprüche abhängen, und es gibt Nebenwidersprüche, auf die das nicht zutrifft. Die Behauptung, dass das Patriarchat der Hauptwiderspruch der bürgerlichen Gesellschaft wäre, und hauptsächlich die historische Entwicklung vorantreibe, bzw. man den Hauptwiderspruch der bürgerlichen Gesellschaft nicht bestimmen könne, ist überhaupt nur salonfähig, weil die Vertreter dieser Ansicht mit moralischer Autorität jede vernünftige Debatte darüber tabuisieren. Das Dogma wird dann in Interviews wie dem vorliegenden wiederholt und die Gläubigen werden daran erinnert, dass, wer an diesem Dogma rüttelt, vielleicht noch nicht die Sünde des Sexismus begangen hat, diese aber im ketzerischen Zweifel mindestens „schon angelegt“ ist.


Rechercheartikel gegen die Autoritäre Renaissance

Der Artikel „Autoritäre Renaissance. Autoritäre antiimperialistische Gruppen versuchen, mit einfachen Antworten, stalinistischen Merksätzen und straffen Hierarchien insbesondere junge Menschen zu rekrutieren.“ ist vor allem ein Rechercheartikel, ähnlich wie man ihn in Verfassungsschutzberichten lesen kann. Es wird vor allem gegen den Kommunistischen Aufbau gehetzt, aber auch gegen alles andere, was sich irgendwie unter der Abstraktion „autoritär“ zusammenfassen lässt.

An den Stellen, wo der Prüwer auf die Inhalte seiner Gegner eingeht, sind ihm antirevisionistische Marxisten-Leninisten, Breschnewisten, Trotzkisten, und Marxisten-Leninisten-Maoisten alles das Gleiche. Nachts sind alle Kühe schwarz.

Laut Selbstdarstellung sehen sich alle diese Gruppen jeweils an der Spitze einer proletarischen Revolution und wollen eine neue kommunistische Partei alten Typs aufbauen. Ihre antiimperialistische Ideologie stammt aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Mao Zedong und Che Guevara machten sie populär und versprühten revolutionary chique. Ihre Stärke ist ihr integraler Dogmatismus. Mit der durch Lenin personifizierten Oktoberrevolution beruft sich dieser Antiimperialismus auf einen historischen Erfolg. Sein manichäisches Weltbild teilt die Menschheit in leidende Völker und imperialistische Ausbeuter. Alle gegen letztere gerichtete Kämpfe sind automatisch antiimperialistisch und damit gut. Der Antiimperialismus verbindet Lenins Theorie des Imperialismus, die Idee einer sich zuspitzenden Monopolbildung auf globaler Ebene als letzter Phase des Kapitalismus, mit Maos Kriegstheorie. Mit der Vorstellung der permanenten Revolution und des Partisanenkampfes können die roten Gruppen sich einreden, Vorhut einer kommenden Revolution zu sein. Mit der Hinwendung zu Kämpfen in der sogenannten Dritten Welt wird der Antiimperialismus ethnisiert: Es geht nicht mehr um Klassenkampf, sondern um Völker, die homogen gedacht werden. Das Individuum verschwindet so in einer völkischen Vorstellung. Hauptfeind sind die USA beziehungsweise USA und Israel auch »Usrael«.
(Tobias Prüwer: Autoritäre Renaissance in: konkret 11/2025, S. 20.)

Zunächst einmal heißt das „Kommunistische Partei neuen Typs“, weil es Lenin darum ging, dass die Partei der neuen Epoche der proletarischen Weltrevolution angemessen organisiert sein muss. Und was soll das überhaupt bedeuten, dass Lenin die Oktoberrevolution personifiziere?

Dann soll manichäisch hier wohl bedeuten, dass der Gegner dualistisch und undifferenziert in einem Schwarz-Weiß-Schema denke. Der dialektische Materialismus ist aber eine monistische Weltanschauung, in der die Widersprüche sich gegenseitig durchdringen und ineinander verwandeln. Der unargumentierte Vorwurf ist also sachfremd. Demnach stimmt es auch nicht, dass alle Kämpfe, die sich gegen einzelne Imperialisten wenden, automatisch antiimperialistisch und gut wären. Es ist die Aufgabe der Kommunisten die Rebellion gegen imperialistische Unterdrückung zu führen, und zu einem politischen Kampf um die Macht für den Kommunismus zu machen. Das heißt, die Kommunisten kämpfen mit der Bourgeoisie um die Führung der Massen. Automatisch gut ist daran gar nichts.

Die Verwendung des Begriffs „permanente Revolution“ soll hier die Unterschiede zwischen Trotzki einerseits und Lenin und Mao Tse Tung andererseits verwischen, um so das homogene Feindbild zeichnen zu können, auf das es dem Autor ankommt.

In den Sätzen „Mit der Hinwendung zu Kämpfen in der sogenannten Dritten Welt wird der Antiimperialismus ethnisiert: Es geht nicht mehr um Klassenkampf, sondern um Völker, die homogen gedacht werden. Das Individuum verschwindet so in einer völkischen Vorstellung.“ wirkt es zunächst so, als ob der Autor dem Klassenkampf etwas abgewinnen könne, und in rätekommunistisch-antinationaler Manier der antiimperialistischen Rebellion gegen den Imperialismus vorwerfe, nicht unmittelbar den Kommunismus zu erkämpfen und die Nation zu überwinden. Der letzte Satz zeigt dann aber, dass Prüwer die Welt vom Standpunkt des Individuums aus betrachtet, und ihm am Klassenkampf ebenso wie am Nationalismus die abstrakte Gemeinsamkeit stört, dass der Herr Prüwer nicht der Mittelpunkt der Welt und der Maßstab der Kritik ist.

Nachdem der Prüwer den wissenschaftlichen Sozialismus und die politische Ökonomie schon erledigt hat, knöpft er sich die Philosophie des Marxismus vor.

Antiimperialistische Parteinahme galt den »unterdrückten« Ländern, Binnenwidersprüche in Befreiungsbewegungen wurden ignoriert. Das entsprach Maos Widerspruchsidee: Auch komplexe gesellschaftliche Entwicklungsprozesse sollten sich auf einen zu bekämpfenden Hauptwiderspruch reduzieren lassen, nach dessen Überwindung sich auch jeder andere Antagonismus auflösen würde. Unter diesen Prämissen konnte sich die antiimperialistische Internationale mit allen Gruppen solidarisieren, die irgendwo einen Befreiungskampf führten oder dies behaupteten.
(Tobias Prüwer: Autoritäre Renaissance in: konkret 11/2025, S. 20 f.)

Im Gegensatz zu Roswitha Scholz führt der Prüwer wenigstens aus, was er denn glaubt, was dieses Haupt- oder Nebenwiderspruchsdenken denn sei. Er verballhornt den Gedanken von Haupt- und Nebenwiderspruch in der bekannten Weise, und behauptet, dass Maoisten glauben würden, dass sich jeder andere Antagonismus, was für ihn anscheinend das Gleiche ist wie ein Widerspruch, auflösen würde, wenn der Hauptwiderspruch überwunden sei. Als Betroffene können wir versichern, dass wir das nicht glauben.

In einem komplizierten Prozess gibt es einen Hauptwiderspruch, der die Entwicklung des Prozesses hauptsächlich bestimmt, und von dem alle anderen Widersprüche abhängen, und es gibt Nebenwidersprüche, auf die das nicht zutrifft. Im Zuge der Entwicklung eines Prozesses kann sich der Hauptwiderspruch ändern. Wenn man nicht dogmatisch und schematisch die immergleiche Praxis treiben will, sollte man verstehen, dass die Wahrheit konkret ist, und die Welt in ihrem besonderen, aktuellen Zustand verstanden werden muss, um adäquat handeln zu können. Weil dem Prüwer dagegen kein Argument einfällt, prügelt er lieber auf den Strohmann ein, dass die Überwindung des Hauptwiderspruchs in einem Prozess alle Probleme auf der Welt lösen würde, was offensichtlich Schwachsinn ist.

Wo der Prüwer allerdings recht hat, ist, dass man den roten Gruppen „nur inhaltlich beikommen“ kann. Zum Glück haben wir inhaltlich von ihm nichts zu befürchten.


Nur verzweifeltes Krakeelen?

Beide Artikel haben gemeinsam, dass sie das verzweifelte Krakeelen von sich im Niedergang befindenden Antikommunisten sind, die sich selbst als radikale Kritiker des Bestehenden inszenieren, aber für ihre Theatervorstellung immer weniger Begeisterung beim Publikum ernten.

Allerdings ist vor allem Prüwers Artikel ein Hetzartikel, wie sie oft in bürgerlichen Medien im Vorfeld staatlicher Repression erscheinen. Er schießt darin vor allem gegen den Kommunistischen Aufbau, Young Struggle, die Kommunistische Organisation-„Kommunistische Partei“ und gegen die Trotzkisten von „der Funke“.

Man kann sich als Revolutionär natürlich darüber freuen, dass diese Sorte Revisionisten so verzweifelt ist, weil ihnen die Massen weglaufen. Allerdings sollten die Artikel uns auch eine Warnung sein, dass wir mit dieser Sorte inhaltsleerer Auseinandersetzung unbedingt brechen müssen, wenn wir eine starke revolutionäre Bewegung aufbauen wollen. Denn solche Artikel wie in der konkret tragen nichts zur inhaltlichen Klärung bei, sondern fördern nur die Entsolidarisierung und erleichtern dem Staat seine Repression.

 



1 Das von der Wertkritik angesprochene Phänomen der verschleppten Überakkumulationskrise haben wir in unserem Text zur Inflation erklärt. Link: https://dersperling.noblogs.org/post/2023/04/23/die-inflation-2021-ff/

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